Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
an, den Tante Gisela uns geschenkt hatte. Es war nur ein Schwarzweißgerät, aber jetzt mußte ich Mama wenigstens nicht mehr ums Umschalten anbetteln, wenn sie einen Krimi sehen wollte und ich eine politische Sendung oder ich einen Spielfilm und sie und alle anderen irgendeinen Quizkack.
In dem ersten Film, den ich mir ganz allein oben ansah, teufelten Humphrey Bogart und Katharine Hepburn aufeinander ein. Der Säufer und die Missionarin. Die saßen unfreiwillig in einem Boot und wurden gejagt und mußten zusammenhalten, obwohl sie einander nicht ausstehen konnten. Nach einigem Hinundher kamen sie sich dann doch etwas näher.
Ich hatte das geahnt, von Anfang an.
Humphrey Bogart machte alles richtig, aber man konnte nichts daraus lernen, solange man in Meppen herumsaß. Da gab es keine Stromschnellen, keine Blutegel und keine kriegerischen Auseinandersetzungen, sondern nur das ewige Einerlei der Schulscheiße und des Familienlebens.
In einem Lesesaal über dem Sekretariat von Direktor Berthold hing die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus. Da setzte ich mich in der Pause hin und las einen Kommentar zum Tarifstreit in der Metallindustrie.
Verluste in Höhe von mehreren hundert Millionen Mark drohen der ohnehin labilen Wirtschaft, und zwar angesichts eines Angebots der Arbeitgeber auf Lohnerhöhungen sowie anderer Zusicherungen, die durchaus respektabel sind ...
Na sicher. Die FAZ war eben konservativ und machte sich die Argumente der Kapitalisten zu eigen. Aber wenn es in den letzten hundert Jahren nur nach den Kapitalisten gegangen wäre, gäbe es noch immer keine freien Gewerkschaften, keine Vierzigstundenwoche und kein Streikrecht, sondern nach wie vor nur Hungerlöhne für die Schufterei in Kohlenminen und Tuchfabriken. Die Konservativen reagierten schon seit Bismarcks Tagen allergisch gegen jedes Aufmucken der Arbeiterklasse. Aus Treue zu den konservativen Prinzipien hätte die FAZ eigentlich die Wiedereinführung der Kinderarbeit und die Erneuerung der Sozialistengesetze verlangen müssen.
Interessant war ein Bericht über die schwerste Panne bei der Fahndung nach den Entführern des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer im Herbst 1977: Es hatte schon kurz nach der Entführung einen Hinweis auf die Wohnung in einem Hochhaus in Erftstadt-Liblar bei Köln gegeben, wo Schleyer gefangengehalten worden war, aber die Polizei war dem Verdacht nicht gründlich genug nachgegangen. Sonst hätte Schleyer vielleicht befreit werden können, von der GSG 9 oder einer anderen Truppe, die dazu bereit gewesen wäre, sich ein Feuergefecht mit den Entführern zu liefern.
Was das wohl für Typen sein mochten, die sich hauptberuflich für solche Einsätze schulen ließen? Wer nahm denn schon gern einen Kugelhagel in Kauf, wenn es auch die Möglichkeit gab, in einem Postamt zu arbeiten oder in einer Konditorei?
Mißmutig war jetzt wahrscheinlich der Bürgermeister von Erftstadt-Liblar. Dem konnte es nicht passen, daß alle Welt Erftstadt-Liblar mit der RAF in Verbindung brachte. Erftstadt-Liblar, das hörte sich fortan genauso verdächtig an wie der Name der Terroristin Gabriele Kröcher-Tiedemann.
Mit den Wirtschaftsnachrichten hielt ich mich nicht lange auf.
Volvo erwartet höheren Marktanteil
Gummi-Fulda an der Gewinnschwelle
Im Feuilleton stand ein langer Beitrag über die Erforschung der altmesopotamischen Keilschrift.
Hermann sagte, in der Volksbank hänge das Handelsblatt aus; das könne man da gratis lesen. Nach der fünften Stunde fuhr ich hin und stellte fest, daß auch das Handelsblatt nicht gut auf die Gewerkschaften zu sprechen war:
Diese Schwerpunktstreiks erhalten immer mehr den Charakter von gezielten Vernichtungsstreiks. Deshalb ist es verständlich, daß sich die Arbeitgeberseite am Montag entschlossen zeigte, ab diesem Dienstag bundesweit mit einer unbefristeten Aussperrung zu reagieren.
Wäre ja auch seltsam gewesen, wenn die Volksbank anstelle einer unternehmerfreundlichen Zeitung irgendwelche kommunistischen Propagandaschriften bereitgestellt hätte.
Beim Umblättern kriegte ich mit, daß die Bankangestellten mich komisch anglotzten, wie ich da auf einem Polstersessel neben einem Gummibaum saß und das Handelsblatt studierte. Es kam wohl nicht so oft vor, daß minderjährige Bürger die Informationsangebote der Volksbank nutzten. Oder hing die Zeitung da sowieso nur zur Dekoration?
Zuerst hatte ich noch gedacht, okay, wenn man hier umsonst das Handelsblatt lesen kann, dann mache ich das
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