Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
hinunter. Bahnsteig 5? Wo war Bahnsteig 5? Da, ein Schild – es verwies mich nach rechts. Also wetzte ich nach rechts, bis ich mich vor dem Ausgang wiederfand. Kommando zurück. Immer geradeaus und dann die fünfte Treppe einfach nach oben. Da stand mein Zug. Keuchend lief ich auf eine der Waggontüren zu. Wieder so ein alter Opa, der einem den Weg versperrt mit seinen zwei dicken beeschen Koffern ... ja, ganz recht, es war derselbe, der kurz vor mir ausgestiegen war. So was Dämliches. Ich wetze wie ein Verrückter, und der Alte ist trotzdem vor mir am Ziel.
Na ja. Jedenfalls war ich jetzt im Zug. Getreu meinen Prinzipien ging ich bis zu dem Waggon direkt hinter der Lokomotive. Leider waren alle Abteile 1. Klasse. Außerdem bemerkte ich nach drei Waggons, daß ich in die falsche Richtung ging. Also wieder mal zurück, durch den ganzen stickig vollen Zug. Nirgendwo ein freies Abteil. Ich wollte mich schon in eins mit nur noch einem einzigen freien Platz setzen, als ich auf einmal in eine andere Welt gelangte. Frische Kühle und angenehme Menschenleere empfingen mich. Es war wie im Märchen, wo man durch einen unsichtbaren Schleier ins Paradies eintritt. Der ganze Waggon war leer. Mißtrauisch legte ich mein Gepäck auf einen der gepolsterten Sessel in einem der leeren Abteile und sah mich um. Da stimmte doch etwas nicht. War das auch wirklich 2. Klasse? Tatsächlich. Stand irgendwo ein Schild, daß der Waggon reserviert war? Auch nicht. Sollte er vielleicht abgehängt und/oder verschrottet werden? Nein. War er verdreckt oder verseucht? Nichts von alledem. Anscheinend war es der Waggon direkt hinter der Lokomotive. Die Mühen hatten sich gelohnt. Meine Hand war vom Kofferschleppen zwar fast abgestorben, aber ich fühlte mich wohl, ging in mein Abteil und vertilgte auf der dreistündigen Fahrt, während der sich niemand sonst in mein Abteil begab, die Rosinenbrötchen mit Cola und Fanta (schönen Dank noch an Deine Mutter). Es war wie im Feinschmecker-Restaurant. Weiche Sessel, wunderbares Essen, und draußen rauschte die Landschaft vorbei. Herrlich!
In Koblenz erwarteten mich Holger und Harald. Damit war der ruhige Teil der Reise beendet, und der selbstmörderische brach an. Harald hatte sich den Käfer von meiner Schwester gepumpt, um mich abzuholen. Es ging also nicht gleich heimwärts, sondern erst einmal mit quietschenden Reifen nach Simmern und dann die Straße nach Hillscheid runter (wo Du das Fahrrad durch einen eleganten Schlenker in den Graben ruiniert hattest und wir es nach Hause schleppen mußten). Aber frag nich’ wie: Keinen Augenblick hat der Harald den Fuß vom Gas genommen, und immer isser mit 80 Sachen durch die Kurven gefetzt (zugegeben, in der Haarnadelkurve waren’s nur 60, aber trotzdem). Auf der Straße nach Vallendar isser dann total ausgeflippt. Hat getan, als sei er auf ’ner dreispurigen, leeren Autobahn. Und die Straße war so huppelig! Zum Glück war jemand vor uns, und es gab keinen Platz zum Überholen.
Seltsamerweise kam ich heil in Vallendar an. Ich ging auf mein Zimmer. Harald und Holger hinterher. Sie hatten die Tüte mit dem Scrabble entdeckt, packten das Spiel aus und ... den Rest kannst Du Dir denken. Mir is’ ja bald schlecht geworden.
Aufseufzend gehe ich zum Radio und drehe es an. Statt wohlgefeilter Harmonien springen mir schrille Dissonanzen entgegen. Was war passiert? Ich hatte natürlich sofort unseren Profibastler Holger in Verdacht. Der bestritt alles. Ich wartete bis zum nächsten Morgen und ging dann an die nähere Untersuchung. Kein Sender war mehr an seiner alten Stelle, alle waren irgendwie nach rechts verrutscht und nicht mehr richtig reinzukriegen. Außerdem war alles ganz leise. Holger wußte von nichts. Ich merkte aber genau, daß jemand rumgeschraubt hatte, weil die Rückwand nicht mehr locker war. Doch davon, daß man sie festschraubt, geht das Radio nicht kaputt. Ich bearbeitete Holger also weiter. Schließlich rückte er mit der Wahrheit heraus: Er hatte das Ding aufgeschraubt und irgendwo rumgedreht, um den Polizeisender hören zu können. Dabei is’ was abgebrochen, »nur ein ganz kleines Teil«. So ist das. Wenn man hier wegfährt, muß man alles wegschließen, damit es nicht zerzatzt wird.
Eben komme ich vom Friseur. Auweia. Jetzt ist kein Spiegel mehr vor mir sicher: Ich möchte jeden einzelnen zerschlagen, um diesen Anblick nicht ertragen zu müssen. Und in vier Tagen ist schon wieder Schule! Wenn ich mit so ’ner Frisur in die Schule gehen
Weitere Kostenlose Bücher