Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Oma und Opa Jever vom Bahnhof abholen, und bevor sie wieder da war, kamen Tante Gertrud samt Onkel Edgar und Sohnemann Bodo und Oma Schlosser aus Bielefeld angerollt und von der Nordseeküste Renates Patentante Grete. Renates andere Patentante Doro hatte abgesagt, weil mit ihrem Knie irgendwas nicht stimmte.
Papa führte alle Gäste durch den Garten. Oma Schlosser ging dabei am Stock. Es gebe hier leider Mäuse und Läuse, sagte Papa, und Oma Schlosser sagte, daß Puffbohnen läusefrei blieben, wenn man dazwischen Kartoffeln pflanze.
Renate hatte unsere alte Hängematte aus dem Keller geholt und im Garten aufgehängt. Sie ließ sich von Olaf filmen, wie sie in dem Ding herumschaukelte. Da wollte dann auch Wiebke mitmachen, aber die war halt zu blöd und schmierte zweimal ab bei dem Versuch, in die Matte hineinzuklettern.
Volker schleppte Tische auf die Terrasse, für das Kaffeegesaufe und Kuchengefresse, und Mama breitete Tischdecken aus. Als Olaf dann mit seiner Super-8-Kamera die gesamte Gesellschaft verewigen wollte, stellte Mama ihre Tasse ab und hielt sich eine der Tischdeckenecken vors Gesicht. Olaf filmte trotzdem weiter, und Mama rief: »Nu’ hör doch mal endlich auf mit der dämlichen Filmerei!«
Das wäre ja noch verständlich gewesen, wenn Mama einen Kropf oder Draculazähne gehabt hätte oder ein blaues Auge, aber sie sah absolut normal aus.
Nach dem Kaffee gab es wieder Sekt. Nur Olafs Vater bestellte sich Bier. Es war kein Zufall, daß der ’ne medizinballgroße Wampe überm Hosenbund hängen hatte.
Bodo forderte mich zu einem Federballmatch im Garten heraus. Dafür mußten erst einmal die ollen Federballschläger auf dem Dachboden zusammengesucht werden, und ich brauchte fast ’ne halbe Stunde, bis ich da auch einen halbwegs intakten Federball aufgetrieben hatte. Der blieb natürlich zehnmal pro Minute irgendwo in den Bäumen hängen, und beim Spielen brach auf einmal mein Federballschlägerstiel mittendurch.
»Du kriegst aber auch wirklich alles kaputt«, sagte Papa, obwohl ich gar nichts gemacht hatte. Der Stiel mußte schon morsch gewesen sein. Von Holzwürmern zerfressen oder von Schimmelpilzen durchsetzt.
Ich ging in mein Zimmer hoch und legte meine liebste Beatles-Platte auf.
If I fell in love with you ...
Scheißfamilie, Scheißverwandte, Scheißverlobung. Wozu verlobte man sich überhaupt? Statt gleich Nägel mit Köppen zu machen und zu heiraten? Um zweimal Geschenke zu kriegen? Renate und Olaf hatten einen Batzen Geld eingestrichen, aber sonst nur lauter Mistzeug: Backformen, Küchenschüsseln, Spielkarten und Pralinen.
Wenn es nach Mama gegangen wäre, hätte ich den Gästen nach dem Abendessen irgendwas auf dem Klavier vorspielen müssen. Ich hatte keine Lust dazu, und als ich an den Tasten saß, verließen mich die Kräfte. Was hätte ich denn schon groß spielen können? Etwa eine von Johann Sebastian Bachs beschissenen Inventionen?
»Wir warten!« rief Olafs Vater. »Wird das heut’ noch was mit dem Konzert? Sonst verlangen wir unser Eintrittsgeld zurück!«
Um nicht wie ein Volltrottel zu wirken, fing ich an, den Türkischen Marsch zu spielen. Den hatte ich früher gut gekonnt, aber jetzt verhedderte ich mich bei den Noten, die man mit dem Ringfinger und dem kleinen Finger der rechten Hand spielen mußte, und ich brach die Sache ab.
Traurig sei das, sagte Mama. »Dafür haben wir dich nun jahrelang auf die Musikschule geschickt ...«
Im Wohnzimmer las Opa Jever eine plattdeutsche Geschichte vor, die bei den Gästen besser ankam als mein Klaviergestümper. Renate legte danach eine Langspielplatte mit Tanzmusik aus den Roaring Twenties auf, und es wurde wie wild herumgehopst. Renate und Olaf flippten durch die Bude, Onkel Edgar forderte Mama auf, und einmal konnte man auch Papa mit Tante Grete tanzen sehen.
»Sieht doch aus, als würden die beiden gut zusammenpassen«, schrie Oma Jever Opa Jever ins Ohr, und er nickte, aber das machte er vielleicht nur aus Gewohnheit so.
Als alle wieder saßen, fiel eine dicke Stubenfliege störend auf, die durchs Wohnzimmer schwirrte und sich zwischen ihren Flugmanövern gern auf nackten Unterarmen niederließ. Um der Sache ein Ende zu bereiten, holte Papa die Fliegenklatsche aus der Küche und begab sich auf die Jagd, zur allgemeinen Belustigung und unter den Anfeuerungsrufen der Gäste.
»Hier isse wieder!«
»Gewesen, gewesen ...«
»Da an der Gardine!«
»Hinterher!«
»Das ist ja wie bei Wilhelm Busch!«
»Vielleicht
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