Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
erfreulich dicker Brief von Michael Gerlach adressiert.
Jetzt muß ich also wieder ran. Stehe ja unter enormem Leistungsdruck nach Deiner letzten Briefbombe.
Von unserm neuen Englischlehrer hab ich, glaub ich, schon erzählt. Heute hatter die erste Arbeit besprochen, die wir bei ihm geschrieben haben. Der Mann war ganz fertig. Sowas von mieser Klasse sei ihm seit 1968 nich’ mehr untergekommen. Die Klasse damals hatte in einem Jahr viermal den Lehrer gewechselt. Hatte also allen Grund, mies zu sein. Und dabei sei sie noch nicht so schlimm gewesen wie wir. Au weh. Das kommt also davon, wenn man ’nen netten Lehrer hat. Und ich will Englisch als Leistungskurs nehmen! Das sind ja schöne Aussichten. Und das Tollste ist, daß unsere »Stars«, also die, die auch beim netten Lehrer mies waren, die Arbeit noch nicht mal mitgeschrieben hatten. Es kommt also alles noch besser.
Am Sonntag war bei uns sogar was los! Stell Dir mal vor. Unser Wellensittich war nämlich abgehauen. Zuerst ja bloß auf ’nen kleinen Baum direkt bei unsern Nachbarn. Dann hatter aber anscheinend Spaß an der Sache gefunden und ist irgendwo zwischen den Häusern die Straße ’rauf verschwunden. Das war so gegen 9 Uhr morgens. Alles ging auf die Suche. Ne volle Stunde kein Lebenszeichen. Dann – wahrscheinlich war dem Vieh die Geschichte doch unangenehm geworden – hörten wir zwischen dem Spatzengeschrei und dem Amselgezeter einen Wellensittichhilferuf. Mittels weiterer Rufe konnten wir den Standort ... äh ... orten, ziemlich weit weg, in so ’nem verfilzten Busch. Zuerst sind wir drei- oder auch viermal dran vorbeigelaufen. Schließlich aber hüpfte ich über irgendeinen Zaun (denk an unsere Tour zum Kühkopf, als wir in Urbar waren) und landete natürlich auf der Nase. Den Wellensittich hatte ich aber entdeckt (wenigstens etwas). Weil das blöde Vieh nich’ zu mir auf den Finger wollte, mußte mein Vater ran. Das klappte aber auch nicht so recht. Man darf von so ’nem Wellensittich nicht erwarten, daß er genug Grips hat, um sofort zu kommen, wenn die Stimme des Herrn ertönt. Offenbar reichte es dem Vieh, daß wir in der Nähe waren, denn es tschilpte munter vor sich hin und begann sich zu putzen. Allmählich bekamen wir auf dem fremden Rasen kalte Füße. Alle zärtlichen Lockrufe (»Komm endlich her, du saublödes Vieh!«) verhallten erfolglos. Als sich der Wellensittich dann allerdings ausgeputzt hatte, kam er herbeigeflattert.
Beseelt vor Glück trugen wir ihn heim. Oder besser: bis kurz vor die Haustür. Denn dann erhob sich der Vogel und setzte sich auf eine Birke. Natürlich ganz oben. Zum Glück war das ’ne Birke bei unserm Nachbarn vorne an der Garageneinfahrt, aber wir waren ratlos. Raufklettern hätte nix genutzt, weil der dämliche Wellensittich ganz außen auf ’nem ganz dünnen Ast saß. Wenn ich jetzt so zurückdenke – es war tatsächlich der längste Ast an der ganzen verdammten Birke. War das nun Blöd- oder Bosheit? Vermutlich ersteres, denn dem Gejammer von dem Vieh konnte man anmerken, daß ihm schwindlig war so hoch da oben und daß es nichts anderes als wieder ’runter wollte. Doch es traute sich nicht, auch nur eine Bewegung zu machen. Holger fand dann das Ei des Kolumbus. Er schnürte ein paar lange Latten zusammen, stieg auf die Garage und hielt dem Biest die Latten untern Bauch, in der Hoffnung, daß es kapiert, daß es draufklettern soll. Aber statt das zu kapieren, flog es laut krächzend ein Stockwerk höher (jetzt konnte es sich plötzlich wieder rühren) und ließ sich oben in der Ausgangsbirke nieder. Inzwischen war es halb zwölf durch, und wir aßen erst einmal Mittag.
Nach dem Essen ging’s von vorne los. Zunächst mal haben wir es wieder mit der Stange versucht. Das hatte aber nur zur Folge, daß unser Vögelchen eine große Runde um den Mallendarer Berg drehte und danach wieder auf derselben Birke landete. Da hatte ich die Nase voll. Ich ging ins Haus, um zu verschnaufen. Nach ’ner Viertelstunde hörte ich aufgeregte Rufe bei uns auf der Terrasse: Wellensittich wieder mal mit unbekanntem Ziel davongeflattert. Ich machte mich also abermals auf die Socken. Diesmal allein, weil die andern die Lust an dem Spielchen verloren hatten. Sie schrieben das Vieh schon ab. Ich hörte es aber schon irgendwo am großen Parkplatz beim Schwimmbad herumkrächzen. Nichts wie hin, und da saß es auch – mitten in ’nem Baum auf ’nem eingezäunten Grundstück. Meine Anlockungsversuche blieben natürlich
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