Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
beten und im Neuen Testament herumzulesen, wenn sie abends vor Geilheit nicht einschlafen konnte.
Im Zweiten fing um zehn ein Film von John Cassavetes an, mit Ben Gazzara in der Rolle eines schäbigen Nachtclub-Besitzers, der bei irgendwelchen Gangstern Spielschulden hatte und sich dazu gezwungen sah, einen chinesischen Buchmacher abzumurksen.
In dem Nachtclub traten Frauen oben ohne auf, doch ich dämmerte trotzdem weg und wachte erst wieder auf, als Papa im Wohnzimmer stand und mich anbrüllte: »Bring dein scheißverdammtes Fahrrad in den Keller!«
Aber natürlich. Gern geschehen. Eine meiner leichtesten Übungen.
In der neuen konkret stand ein Interview mit einer Peep-Show-Tänzerin. Die äußerte sich mitleidig über ihre drogenabhängigen Kolleginnen: »Eine schizophrene Situation, die arbeiten dort, um ihre Droge finanzieren zu können, und brauchen die Droge wiederum, um dort arbeiten zu können!«
Und im neuen Stern stand eine Reportage über ein heroinsüchtiges Mädchen, das in der elenden Berliner Außenbezirkssiedlung Gropiusstadt aufgewachsen und am Bahnhof Zoo bereits mit dreizehn Jahren auf den Strich gegangen war.
Nur in Meppen merkte man absolut nichts von Rauschgift und Prostitution. Oder jedenfalls ich merkte nichts davon.
Mit dem neuen südafrikanischen Premierminister Pieter Willem Botha war Hermann vollauf zufrieden: »Noch so ein Sackgesicht, das die Politik der Rassentrennung fortsetzen will! Da hat man doch mal wieder jemanden zum Scheißefinden!«
An solchen Leuten herrschte ja nun nicht gerade ein fühlbarer Mangel.
Beim Anziehen hörte ich mir immer die 7-Uhr-Nachrichten an, und jedesmal, wenn vom Außenminister Hans-Dietrich Genscher die Rede war, dachte ich daran, eine Strichliste mit allen Politikernamen anzulegen, die in den Nachrichten vorkamen. In dieser Hitparade hätte Genscher den Spitzenplatz besetzt, in einsamer Höhe über allen hechelnden Verfolgern. Die konnten einpacken, ob sie nun Wolfgang Mischnick oder Enver Hodscha hießen, Jassir Arafat oder Jomo Kenyatta, Bruno Kreisky oder James Callaghan. Auch Kim Il Sung, Sésé Séko Mobutu, Rainer Barzel, Walter Scheel und Konstantin Karamanlis lagen weit abgeschlagen im Rennen, und selbst für Weltpolitiker wie Jimmy Carter, Indira Gandhi und Hua Kuo-feng gab es keine reelle Chance, Hans-Dietrich Genscher in dieser Sportart zu überflügeln.
Eines Morgens schnellte dann jedoch Johannes Paul I. an die Spitze, weil er gestorben war, plötzlich und unerwartet. Nun würde der ganze Salat mit der Papstwahl also schon wieder von vorne anfangen. Und Genscher würde ein Beileidsschreiben aufsetzen und zum Begräbnis düsen müssen.
Der sozialdemokratische Hamburger Bürgermeister Hans-Ulrich Klose wollte den Radikalenerlaß lockern, der vorsah, daß politische Extremisten nicht im öffentlichen Dienst tätig werden sollten. »Ich stelle lieber zwanzig Kommunisten ein, als daß ich zweihunderttausend junge Leute verunsichere«, hatte er gesagt.
Zu diesen zweihunderttausend verunsicherten jungen Leuten gehörte auch ich, denn es war ja förmlich verrückt, daß man in der Bundesrepublik einer legalen Partei wie der DKP angehören, aber dann eben nicht Lokführer, Briefträger oder Lehrer werden durfte. Mit diesem Berufsverbot hatten sich die Sozis unter Willy Brandt vergaloppiert, dachte ich, einerseits, aber andererseits hätte ich mich in Gemeinschaftskunde auch nicht gern von einem Stalinisten unterrichten lassen. Oder gar von einem Mitglied der gleichfalls gesetzlich zugelassenen NPD. Wenn ich allein zu bestimmen gehabt hätte, wäre kein einziger Nazi verbeamtet worden, auch nicht als Briefträger oder Lokführer und erst recht nicht Richter, Staatsanwalt oder Gemeinschaftskundelehrer. Ich hätte diese Brüder alle an die Sowjetunion ausgeliefert. Da hätten sie doch wunderbar mithelfen können beim Wiederaufbau der geplünderten Dörfer und Städte.
Am Telefon quatschte Mama lange mit Renate. Die war mit Olaf aus Frankreich zurück. Sie hätten schon einen Tag früher heimkehren wollen, aber dann seien mitten im dicksten Regen die Scheibenwischer stehengeblieben, und der Auspuff habe ein Loch gehabt und Krach gemacht wie ein Panzer. Deswegen hätten sie sich kurz vor Metz ein kleines Hotel gesucht und den Wagen in eine Werkstatt gebracht.
Ich war’s inzwischen gewohnt, allein ins Kino zu gehen und mich zwischen all den Pärchen wegzuducken und insgeheim Ausschau nach Annette Spengler zu halten, aber die hatte
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