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Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Titel: Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Henschel
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Krähen an den Füßen festgebunden, und es wurde ringsherum ein Netz gelegt und Hafer gestreut. Wenn dann ein Vogelzug oben rüberging, sahen die Krähen, daß da unten ein Artgenosse pickte. Dann stürzten sie sich also nieder. Die Fischer hatten sich versteckt und eine Leine um dieses Netz gezogen. Sobald nun genug Vögel eingeflogen waren, wurde das Netz über ihnen zugezogen, und die Fischer griffen sich die Krähen und bissen sie tot ...«
    »Bissen?«
    »Ja, das waren die sogenannten Krajebiter. Die bissen die Krähen oben in den Kopf rein. Später wurden die Krähen gerupft, weil die so furchtbar tranig schmecken. Da wird die Haut mit dem Federkleid abgezogen, dann ist das Tranige weg, und das Krähenfleisch soll sehr gut schmecken. Die Fischer haben sich das eingesalzen. Das war neben Fischen die einzige Fleischnahrung, die sie hatten. Die waren ziemlich arm ...«
    In meinem Bett dachte ich noch ein Weilchen an die Krajebiter. Was für ein Job: Krähen totbeißen! Und welche Frauen hatten sich denn damals wohl von einem dieser Krähenbeißer küssen lassen wollen? Tante Hanna etwa? Von ihrem Liebesleben als Studentin hatte sie noch nichts erzählt, und vielleicht gab es da ja auch nichts zu erzählen.
    Zur Frühstückszeit klarte der Himmel auf, und man konnte von der Gartenterrasse aus bis nach Österreich kucken, wo es aber auch nicht groß anders aussah als diesseits der Landesgrenze.
    Während Fräulein Kunze die Küche aufräumte und das Mittagessen kochte, machten Tante Hanna und ich einen langen Spaziergang, an vielen Kuhweiden vorüber. Waren das nun glückliche Kühe? Ich hätte keine von denen sein wollen. Heu mampfen auf der Alm, gemolken werden, niemals irgendwas Verrücktes anstellen können und sich nach einem eintönigen Leben als Bratklops auf dem Eßteller eines bayrischen Gierschlunds wiederfinden?
    Tante Hanna wollte wissen, ob ich denn noch Klavier spielte, und ich gestand ihr, daß mir das keinen Spaß mehr mache.
    »Aber den Türkischen Marsch, den konntest du doch immer so gut«, sagte sie. »Den mußt du uns nachher mal vorspielen!«
    Fräulein Kunze hatte Leberknödel, Reis und Erbsen zubereitet. Zum Nachtisch gab es Dosenpfirsiche mit Schlagsahne, und danach mußte ich mich an den Flügel setzen und den Türkischen Marsch spielen, wobei ich leider mehrmals hängenblieb.
    »Der gute Wille zählt«, sagte Fräulein Kunze. »Nicht wahr, mein Hannchen?«
    Der Mittagsschlaf, den Tante Hanna und Fräulein Kunze hielten, dauerte fast zwei Stunden. Ich klapperte solange das Bücherregal ab. Am spannendsten war ein Buch von Alexander Sutherland Neill über Summerhill, diese freizügige Schule mit Nacktkörperkultur und antiautoritären Erziehungsmethoden.
    Ich halte es für richtig, wenn man sagt, daß Kinder, die mit Billigung ihrer Eltern onanieren und mit ihren Genitalien spielen, die beste Chance haben, später einmal liebesfähige Erwachsene zu werden, voller Zärtlichkeit und Freude ...
    So würden es auch die Trobriander halten, und bei denen gebe es keine Anzeichen von Sexualverbrechen, antwortete Neill einer Mutter, die von ihm wissen wollte, wie sie ihren Kinder die »Sexualspiele« abgewöhnen könne. Eine andere Frau fragte ihn:
    Meine Tochter ist noch in den Teenagerjahren und möchte ein Sexualleben haben. Soll ich sie mit einem Pessar versehen?
    Dieser Tochter hätte Neill, wie er schrieb, ein Verhütungsmittel ausgehändigt, obwohl er von der Promiskuität nichts hielt: Die Casanovas und Don Juans könnten ein Mädchen nämlich nicht ganz glücklich machen.
    Das hätte man doch aber auch von vielen treuen Ehemännern sagen können, oder nicht? Und ob es nicht auch Mädchen gab, die sich ganz gern mal eine Nacht lang glücklich machen ließen, ohne sich sofort unsterblich zu verlieben?
    Im Iran streikten die Erdölindustriearbeiter. Gut so! Damit drehten sie dem Schah den Saft ab. Nicht mehr lange, und der alte Sack hatte verschissen, mitsamt seinen korrupten Hofschranzen und allen Geheimdienstkujonen.
    Ihr sei nicht so wohl bei dem Gedanken, dieses Land in Anarchie versinken zu sehen, sagte Fräulein Kunze, und Tante Hanna äußerte die Vermutung, daß der KGB die Strippen ziehe: »Die Russen tun doch, was sie können, um nur ja überall Unfrieden zu stiften, wo ihre Satrapen noch nicht an der Regierung sind!«
    Mit den Russen hatte Tante Hanna ihre eigenen Erfahrungen gemacht. Als iranischer Gewerkschaftsführer hätte ich im Zweifelsfall wahrscheinlich trotzdem lieber einen

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