Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Deutschland anschließend in Diktaturen exportierte.
Es fiel noch immer kein Schnee, aber schon beim Fahrradverstauen froren mir die Finger fast am Lenker fest.
Mama kam ins Wohnzimmer und sagte: »Was herrscht denn hier für eine schweinsmäßige Kälte?«
Unter Mamas Aufsicht drehte Wiebke alle Heizkörperregler hoch, bis zum Anschlag.
Tags darauf fegte ein eisiger Wind ums Haus, der auch Schnee mitbrachte, und ich saß durchnäßt und durchgefroren im Kino, als der Film »Padre Padrone« anfing. Blutrache auf Sardinien: Da rauchte einer seine Zigaretten draußen nachts nur verkehrtherum, mit der Glut in der Mundhöhle, um keine Zielscheibe für Heckenschützen abzugeben, und nach der scheinbaren Versöhnung mit den Todfeinden paffte er wieder normal und wurde auf der Stelle totgeschossen.
Da wurde einem ja sogar ein Wohnsitz im ollen Emsland sympathisch, wenn man sich vorstellte, daß man auch das Pech hätte haben können, in eine dieser meuchelmörderischen italienischen Sippen hineingeboren zu werden.
Mit dem Buch, in dem sich Ingmar Bergman über seine Filme äußerte, war wenig anzufangen, solange man nur einen oder zwei dieser Filme kannte. An einer Stelle verfluchte er die puritanische Moral:
Zum Teufel damit – mit der habe ich mich während meiner ganzen Jugend herumgeschlagen, und die war typisch für ein bürgerliches Milieu der zwanziger Jahre. Es gab zwei Sachen, von denen durfte man nicht reden, wenn man fein sein wollte: es wurde nie von sexuellen Dingen geredet und es wurde nie von Geld geredet. Hier könnte ich einen langen Exkurs starten, aber ich weiß nicht, ob das etwas bringt. Ich habe ein gleichaltriges Mädchen getroffen, als ich vierzehn war, und ich bin ihr heute noch dankbar. Während der vier Jahre, die wir aufs Gymnasium gingen, kamen wir zu einer Art Resultat – einer Art Lebensgemeinschaft –, nachdem wir eine Kameradschaft in Zerknirschung und Schuld und Sünde und Schrecken vor dem Sexuellen erlebt hatten, zu einer selbstverständlichen, offenen Gemeinschaft.
Schon mit vierzehn! Na, da brauchte Ingmar Bergman sich ja wohl nicht groß zu beklagen über seine ach so schwere und entbehrungsreiche Jugend.
In dem Western »Vierzig Wagen westwärts« machten johlende Kavalleristen, Rothäute und eine Rotte weiblicher Temperenzler unabhängig voneinander Jagd auf einen Konvoi, der eine gigantische Ladung Whisky und Champagner nach Denver befördern sollte. Das Gute war, daß ich jetzt jedesmal gleich nach Filmschluß nachlesen konnte, was Joe Hembus von der Sache hielt. In diesem Fall fiel sein Urteil hart aus:
Ein sehr langer Witz, über den nur Besucher von geschlossenen Veranstaltungen lachen können, die mit Getränken ausreichend versorgt sind. Bezeichnenderweise war der Film im Fernsehen ein größerer Erfolg als im Kino (obwohl man von den in Staubwolken eingehüllten Höhepunkten der Handlung gar nichts mehr sehen kann, wenn sie nicht auf einer Riesenleinwand abrollen).
Falls John Sturges, der Regisseur, noch lebte und diese Kritik zu Gesicht kriegte, hätte er Joe Hembus zum Duell fordern müssen.
Zu Silvester gab’s den Sketch »Der neunzigste Geburtstag« diesmal bereits um zwanzig vor sechs zu sehen, und dafür bemühte sich auch Papa aus der Kellerwerkstatt hoch. The same procedure as every year.
In der E-Stelle war Papa in diesem Jahr »dienstältester Poolältester« geworden. Was die sich so alles ausdachten.
Und das Jahr 1979 galt dann bundesweit offiziell als das »Jahr des Kindes«. Auch so ein Quatsch. Als ob sich irgendwo irgendein Kind irgendwas davon hätte versprechen können, im »Jahr des Kindes« zu leben. Mir selbst wurde das Erdendasein im neuen Jahr erst einmal nur erschwert, denn am 1. Januar stieg das Briefporto von fünfzig auf sechzig Pfennig, und ich wurde unmittelbar nach dem Frühstück zum Schneeschippen verdonnert.
Scheiße mit Reiße! Der Bürgersteig war restlos zugeschneit und unterm Schnee so schauerlich vereist, daß man einen Preßlufthammer gebraucht hätte, um die Frostdecke aufzusprengen. Das Jahr des Kindes fing für mich mit einem Schweißausbruch beim Schneegeschaufele und Eisgekratze an. Ich hätte wieder einmal reihern können vor Verzweiflung über mein Los, dieses verfluchte Grundstück herzurichten, für irgendwelche bescheuerten Fußgänger, die sich hier sonst vielleicht auf die Schnauze gelegt hätten.
Unser altes Haus auf dem Mallendarer Berg, das ein viel kürzeres Stück Bürgersteig hatte, wollten Mama und
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