Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Venus«).
Volker hatte hauptsächlich Geld eingesackt, von allen anzapfbaren Verwandten, und Papa hatte von Oma Schlosser ein Buch bekommen: Sebastian Haffner, »Anmerkungen zu Hitler«. Papa wiederum hatte Oma Schlosser auf Mamas Drängen hin mit einem Siegfried-Lenz-Taschenbuch darüber hinweggetröstet, daß das eigentliche Weihnachtsgeschenk, die große Ahnentafel, noch immer nicht fertig war. Für Mama hatte Papa einen Schuber voller Langspielplatten mit Klavierstücken von Chopin gekauft. Am Couchtisch lehnte auch ein Kalender mit eckigen Linolschnitten, die Mamas Wiesbadener Patenkind angefertigt hatte, und im Grußschreiben dieser lobenswert aufrichtigen Tochter von Tante Jutta und Onkel Dietrich hieß es:
Ich finde den Kalender doof, weil mir das Linolmesser immer abgerutscht ist.
Vermutlich fand auch Mama den Kalender doof, ganz unabhängig von allen Unfallgefahren bei dessen Herstellung. Wo hätte man diesen Kalender denn überhaupt hinhängen sollen, ohne sich ein ganzes Jahr lang durch den Anblick gepeinigt zu fühlen? Und was hatte Mama Papa eigentlich geschenkt? Davon war in dem ganzen Trubel keine Sekunde lang die Rede gewesen.
Am ersten Weihnachtsfeiertag zimmerte Papa vormittags auf der Terrasse ein Vogelhaus aus Birkenholz, während Mama und Renate in der Küche zugange waren. Da hätte man dann glatt noch einmal an den Weihnachtsmann glauben können, doch beim Teetrinken ging’s wieder los, als ich die Kerzen am Weihnachtsbaum anzündete, mit Streichhölzern. Eine der brennenden Kerzen kippte aus der Halterung und fiel zu Boden, und Papa brüllte: »Paß doch auf, du dämlicher Hund!«
Ich hatte es satt, mich in diesem Stil anblaffen zu lassen, und marschierte ohne ein Wort in mein Zimmer hoch. Sollten die da unten doch zusehen, was sie ohne mich anfingen. Die alten Kacker mit ihrem Tee und ihrem blöden Christstollen! Wenn sie es so toll fanden, auf diese Weise Weihnachten zu feiern, mit Gemecker und Geschrei, dann konnten sie von mir aus an den Rosinen in ihrem Kuchen ersticken. Wozu war man überhaupt am Leben, wenn es selbst in der eigenen Familie in der Weihnachtszeit so beschissen war, daß man am liebsten alles kurz- und kleingeschlagen hätte?
Nach einer guten halben Stunde ging ich doch wieder nach unten und nahm Platz im Wohnzimmer. Renate berichtete von den Problemen, die ihrem Abschlußball vorausgegangen seien: Volker habe ihr damals in unserem Haus auf dem Mallendarer Berg vom oberen Treppenabsatz aus Glaswollebrösel in den Nacken rieseln lassen. »Und gegen das Jucken hat auch Duschen nix geholfen, denn das Zeug hat ja in allen Fasern gehangen ...«
Volker griente in sich hinein, als Renate diese Geschichte zum besten gab, und Mama sah auf ihre Armbanduhr und sagte: »Kinder, nee, ich glaube, es ist Zeit! Und zwar für uns alle!«
Es kam aber noch ein Spielfilm mit dem Titel »Um Mitternacht beginnt der Reigen des Vergnügens«. Darüber hieß es in der Spiegel -Fernsehvorschau:
Die typisch italienische Ehe-Farce (1975) – Bürgersgattin entdeckt neidvoll proletarische Erotikbräuche – drehte Komödien-Routinier Marcello Fondato mit Claudia Cardinale, Vittorio Gassmann und Monica Vitti.
Die sogenannten proletarischen Erotikbräuche bestanden allerdings hauptsächlich in Gezeter und Dresche.
Ich wollte mir Mamas Chopinplatten überspielen: Kassette einlegen, Platte laufen lassen und gleichzeitig auf »Start« und »Rec« drücken. Den Rest erledigte die Anlage von selbst. Es machte auch nichts, wenn man den Lautstärkeregler so weit nach unten zog, daß überhaupt nichts mehr zu hören war; die Musik landete trotzdem in voller Lautstärke auf der Kassette, und man konnte solange irgendwas anderes unternehmen.
In dem Western-Lexikon schmökern zum Beispiel. Der Verfasser hatte sich ein Bewertungssystem ausgedacht:
Die Filme dieses Lexikons sind ausgezeichnet mit keinem Stern, einem Stern, zwei oder drei Sternen. Diese Auszeichnungen sollen keine subjektiven qualitativen Wertungen des Autors darstellen, sondern den Grad der Bedeutung von Filmen in der Geschichte des Western signalisieren ...
Es gab jedoch auch einen Western, der es hier auf sage und schreibe vier Sterne gebracht hatte: »Der schwarze Falke« (»The Searchers«) von John Ford, mit John Wayne in der Hauptrolle. Zum Vergleich: Selbst »Der Mann, der Liberty Valance erschoß« hatte nur drei Sterne! Auch im rororo-Filmlexikon wurde »Der schwarze Falke« lobend erwähnt; besonders John Waynes Darstellung
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