Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Klassenkämpfen:
Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen ...
Als Leibeigener eines Barons wäre ich auf der Stelle verrückt geworden. Oder als Galeerensklave im Altertum. Aber man hätte ja nun auch nicht gerade behaupten können, daß die Bürger der Sowjetunion freie Menschen wären. Da unterdrückte die KPdSU doch jeden Piepslaut. Und die Regierung der DDR mußte die Hauptstadt mit einem sogenannten antifaschistischen Schutzwall abriegeln, damit die Leute nicht abhauten. Marx und Engels hatte doch wohl etwas anderes vorgeschwebt als ein Bündnis sozialistischer Polizeistaaten.
Daß die soziale Marktwirtschaft besser für die Menschheit wäre, mochte ich aber auch nicht glauben, denn sonst hätte es doch nicht so viele Hungertote geben dürfen. Und was war mit den Slums in den Entwicklungsländern?
Hartmann von Aues mittelhochdeutsche Legende »Der arme Heinrich« gab’s als Fischer-Taschenbuch für drei Mark achtzig.
Ein ritter sô gelêret was,
daz er an den buochen las,
swaz er dar an geschriben vant;
der was Hartman genant ...
Ein Ritter, der lesen konnte, stellte im Mittelalter offensichtlich eine Ausnahmeerscheinung dar. Tja. Da wäre es doch wohl besser gewesen, für uns alle, wenn die Römer auch Germanien erobert und den Eingeborenen Lesen und Schreiben beigebracht hätten.
Wiebke und ich mußten mal wieder die Hamsterkäfige säubern. Diese dämlichen, verfressenen, vollkommen überflüssigen und dabei rund um sich herum scheißenden Hamster fielen mir inzwischen schwerer auf die Nerven als Wiebke, und das war ’ne echte Leistung.
In einem Lateintest hagelte es Deklinationen und Konjugationen. Qui, quae, quod, cuius, cui, quem und quam, und ich wußte, ich mußte da durch, doch ich wollte nichts mehr davon wissen, sondern frei sein, für immer: Patrizier und nicht Plebejer.
Mit den Döbels und den Lohmanns machten Mama und Papa abends im Wohnzimmer einen drauf, und für mich fielen dabei mal wieder zwei unbemerkt abgezweigte Flaschen Bier ab. Die soff ich allein in meinem Zimmer aus und hörte dabei Musik.
Oh the sisters of mercy they are not departed or gone ...
Wenn ich doch nur einmal solchen Frauen begegnet wäre! In Meppen schienen die nicht hergestellt zu werden. In Meppen schienen nicht einmal die Voraussetzungen dafür zu existieren, daß überhaupt irgendwelche Menschen auf die Welt kamen. Wenn man sich die Leute hier auf der Straße so ansah, konnte man sich jedenfalls nicht vorstellen, daß von denen welche miteinander ins Bett gingen. Im Vorgarten die Fuchsien wässern, vor der Hubbrücke im Stau stehen, CDU wählen oder Wildschweine und Hirsche jagen, das konnten sie, die Meppener, aber für die Liebe waren sie nicht geschaffen.
Die Döbels reisten ab, es schiffte, und ich hatte keine Lust dazu, von meinem Stuhl aufzustehen, um den abreisenden Gästen hinterherzuwinken. Ich hatte zu überhaupt gar nichts mehr mehr Lust. Wozu war ich überhaupt am Leben?
Oder sollte ich mich doch politisch engagieren?
Nach der fünften Stunde gondelte ich wieder hin zum SPD-Büro, das diesmal tatsächlich geöffnet war. In dem kleinen, muffigen, mit Papierhaufen überladenenen Schuppen saß einer von der Arbeiterwohlfahrt, die sich das Büro mit der SPD teilen mußte, und telefonierte.
Als er endlich fertig war mit Telefonieren, mußte ich dem Mann, der ein Hörgerät trug, mit dem irgendwas nicht zu stimmen schien, mein Ersuchen klarmachen, und das war verdammt nicht einfach. Nachdem er endlich begriffen hatte, was ich wollte, sagte er, daß ich eine briefliche Aufforderung abwarten und mich nötigenfalls an das für solche Fragen zuständige Parteimitglied wenden solle. Ich kriegte die Adresse irgendeiner SPD-Oma aufgeschrieben. Um die zu kontaktieren, hätte ich bei Grabeskälte ans andere Ende von Meppen radeln müssen.
Mannomann. Die CDU besaß in Meppen ein ganzes Haus mit jeder Menge Sekretärinnen und Unterabteilungen und Hühn und Pedühn, und da mußte sich niemand den Schreibtisch und das Telefon mit schwerhörigen Greisen von der Arbeiterwohlfahrt teilen.
Wollte mich die SPD denn nun als Mitglied haben oder nicht?
Ich
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