Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Mama. »Aber ich hab mich in Vallendar und Koblenz immer fremd gefühlt. Als Moorwarfener Mädel im Rheinland wohnen zu müssen, das ist schon ’ne Qual, kann ich euch sagen! Gott, und wenn ich daran denke, wieviel Arbeit wir in diesen Kasten gesteckt haben! Dafür ist der Kaufpreis glatt noch viel zu niedrig ausgefallen!«
Dann erzählte Mama vom Rest der Reise: In Heidelberg hätten sie am Neckar den Campingplatz wiedergefunden, wo sie als junges Ehepaar mal gezeltet hatten, 1955, und danach in Todtmoos Station gemacht. »In diesem Schwarzwaldkaff, wo Papa seine Tuberkulose auskuriert hat. Und ich hab in Hannover gesessen, mit bitterwenig Geld und zwei kleinen Kindern an der Backe. Und wie gern hätt’ ich ihn damals mal besucht! Das ging natürlich nicht, weil allein die Reise schon viel zu teuer gewesen wäre, aber diesesmal haben wir in Todtmoos ’ne große Sause gemacht und uns ’ne üppige Schinkenplatte bestellt, mit Kirschwasser und Weißherbscht. Das hätten wir uns 1959 nicht leisten können!«
Aufgehalten hätten sie sich auch am Titisee, aber nur kurz. »Der Schwarzwald ist ja wohl ganz schön, aber leben würd’ ich da nicht wollen. Ach ja, und am Bodensee, da haben wir ein urzeitliches Pfahldorf besucht ...«
Und Tante Hanna, tja, die sei man ziemlich dick geworden.
In einer Fernsehserie spielte Simone Signoret eine Untersuchungsrichterin, und Mama legte wieder los: Wenn man so alt und fett sei, dann zeuge es von mangelhafter Selbstkontrolle, sich den Zuschauern trotzdem zuzumuten. »Und das gilt für Simone Signoret genauso wie für Franz-Josef Strauß!«
Muhammad Ali hatte seinen Rückzug vom Boxsport verkündet. Der Boxweltmeistertitel in der Schwergewichtsklasse war damit wieder frei.
Die gedruckten Schülerzeitungsseiten mußten wir von Hand zusammenlegen. Immer um den langen Tisch herum. Und ja nicht durcheinanderkommen oder einen Stapel irgendwo falsch ablegen.
Um fünf Uhr nachmittags ging das los. Ralle machte eine Zeitlang mit, obwohl er nicht zur Redaktion gehörte. Um sechs stieß Peter Nossig dazu, knallte eine Kiste Bier auf den Boden und brüllte: »Männer wie wir, Wicküler Bier!«
»Und was ist mit uns Frauen?« rief Andreas Pohl.
Frauen gab’s an diesem Tag leider nicht. Gregor Hellermann, Andreas Pohl, Hermann Gerdes, Peter Nossig, Ralle und ich mußten alles alleine machen. Eine Redakteurin zum Verlieben, das wär’s gewesen.
Mit einem Klammeraffen nagelte Peter Nossig das erste fertige Heft zusammen, blätterte es durch und sagte: »Jungs, ich finde, da steht auch ein ziemlicher Quark drin.«
Die Psychoanalyse des Pinkelns. Schläfriger Typ: Pinkelt durch das Hosenbein in seinen Schuh, geht mit offenem Stall weg und ordnet zehn Minuten später ein. Praktischer Typ: Pinkelt ohne festzuhalten und bindet zur gleichen Zeit die Krawatte. Angeber-Typ: Macht fünf Knöpfe auf, wenn zwei genügen. Geistesabwesender Typ: Öffnet die Weste, nimmt den Schlips heraus und pinkelt in die Hose.
Darauf folgte ein (wie ich fand) schleimiger Artikel von Gregor Hellermann: Es gebe seit neuestem wichtige und deutliche Zeichen dafür, daß das Leben in der Schule nicht von allen als Konfrontation zwischen Lehrern und Schülern verstanden werde, und es breche niemandem, der seine Lehrer und seine Schule auch mal gegen unqualifizierte Angriffe verteidige, ein Zacken aus der Krone. Überschrift:
Schüler verteidigen unsere Schule!
Typisch Hellermann. Die Schulbank drücken und trotzdem schon so daherreden, als ob er der Direktor wäre.
Danach kam ein Artikel von Hermann über die erkennungsdienstliche Behandlung der Mitglieder des Frankfurter Stadtschülerrats nach der Besetzung des Büros eines Schuldezernenten. Der hatte ehemaligen KZ-Häftlingen aus der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes verboten, in Schulen aufzutreten, mit der Begründung, daß diese Vereinigung kommunistisch unterwandert sei. Hier habe man Verhältnismäßigkeit der Mittel mißachtet:
Vor allem führen die Erfahrungen, die diese Jugendlichen gemacht haben, zu einem sehr negativen Bild unseres Rechtsstaats, und man kann sich vorstellen, daß ihre Bereitschaft zur friedlichen Konfliktaustragung sicher nicht gestärkt wurde.
Darüber machte Peter Nossig sich lustig: »Mensch, Hermann, du gehst da ja ran wie der General Blücher auf Novocain! Hast du keine Angst, daß du aus Versehen zum FDP-Vorsitzenden gewählt werden könntest?«
Lustig waren die Dialoge zwischen Vater und Sohn. »Papa, Charly hat
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