Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
gelegen, mit ein paar Kumpels, und dann sei ein alter Klassenkamerad über ihn drübergestolpert, ein stadtbekannter Linksaußen, und ein anderer Freund habe gerufen: »Macht nichts, macht nichts! So einen Fuß kriegt man nicht alle Tage in die Fresse. Der Mann ist KPD-Vorsitzender von Klein-Wichtens!«
Ich ging zum Tresen, um mir mein nächstes Bier zu bestellen.
»Vor ’n paar Dagen heff ick ’n noch dropen«, sagte da ein weißhaariger Mann zu mir. Dem habe Opa Jever versichert, daß er munter und gesund sei. »He hett to mi secht: ›Is noch nix mit Botterkoken äten!‹«
Oma erzählte von Tante Lina. Jedesmal, bevor sie bei der in Jaderbutendieks zu Besuch gekommen seien, also selten genug, habe die vorher einen Hahn geschlachtet, und an der Tür habe es dann gleich geheißen: »Vandag is wedder ’n Hahn doot bleeben!«
Hoffentlich kam Opa jetzt nicht irgendwie vom Himmel aus dahinter, daß ich die 3-D-Brille aus seinem Weltkriegsbuch mal zweckentfremdet hatte, um mir weibliche Genitalien anzusehen.
Bevor wir nach Meppen zurückfuhren, flitzte Renate noch einmal kurz in die Stadt, um sich »Maschenraffer« zu kaufen. Was die so alles brauchte.
Sie nahm jetzt auch Gitarrenunterricht. Und sie hatte bei einem Modewettbewerb in Bonn mit ihrem Brautkleid den zweiten Platz ergattert. Darüber sei sogar ein Zeitungsbericht erschienen.
Tante Dagmar hatte noch für ein paar Tage in Jever bleiben wollen, um Oma Gesellschaft zu leisten.
»Die hat jetzt mal Ruhe nötig«, sagte Mama. »Aber auf der anderen Seite isses natürlich auch gut, daß sie in Jever so einen großen Bekanntenkreis hat. Da muß sie sich jedenfalls nicht isoliert vorkommen ...«
Danach sagte erst einmal keiner mehr was im Auto, und es war peinlich, daran zu denken, daß womöglich alle anderen daran dachten, wie winzig Mamas eigener Bekanntenkreis in Meppen war und daß Mama sich da viel isolierter vorkommen mußte als Oma in Jever.
Isoliert, isolierter, am isoliertesten: Konnte man das überhaupt steigern?
In Meppen war frischer Schnee gefallen, und Volker schüttete Küchensalz auf den Gehweg vorm Haus.
Den Stern las ich am liebsten in der Badewanne und am allerliebsten mit einer Flasche Bier in Reichweite und mit Sandelholzgeruch in der Nase.
Im Stern standen Zitate aus einem Gedicht über den Hamburger SPD-Bürgermeister Klose, das in der Welt erschienen war:
Klose kommt mit Lenins Knochen
quer im Mund dahergekrochen ...
Seit dort bürgermeistert Klose
geht’s in Hamburg in die Hose ...
Extremisten, ob sie stinken
Oder nicht, putzt er die Klinken ...
Hatten die nichts besseres auf Lager, diese Heinis von der Springerpresse, als ihren politischen Gegnern einen üblen Körpergeruch anzudichten?
Die Russen waren in Afghanistan einmarschiert, und Mama sagte: »Gott bewahre uns vorm nächsten Weltkrieg.« Den werde keiner von uns überleben. »Früher, im Mittelalter, da haben ja normalerweise wenigstens nur die Heerhaufen gegeneinander gekämpft, aber spätestens seit Adolfs Zeiten geht’s im Kriegsfall auch der Zivilbevölkerung dreckig, und nach einem Atomkrieg ist sowieso alles im Eimer. Da gibt’s dann auch keinen Wiederaufbau mehr. Dann ist Feierabend.«
Zum Tee gab’s schwedischen Apfelbiskuit, von Renate gebacken. Die fuhr danach mit Olaf nach Bonn, um Weihnachten auch mal zu zweit zu verbringen. Ihr sei jetzt einfach nicht nach großem Trubel zumute.
An Heiligabend kam ein Beileidsbrief von Tante Doro.
Es tut mir so leid, daß Ihr Euren Vater verloren habt. Er war so gütig, langmütig und freundlich. Nie sah ich Falten von Zorn oder Unmut in seinem Gesicht.
Na, na, na. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie Opa Jever mich mal wütend durchs ganze Haus gejagt hatte, um mir eine zu scheuern. Das hatte er mit Tante Doro offensichtlich nie gemacht.
Man brauchte keine Angst vor ihm zu haben, und das ist wohl das Beste, was man von einem Vater sagen kann.
Also, wenn sie das schon für das Beste hielt, dann stellte Tante Doro keine sonderlich hohen Ansprüche. Nach allem, was ich gehört hatte, war Opa Schlosser ein echter Haustyrann gewesen.
Bei der Bescherung kriegte ich ’ne neue Armbanduhr und Briefpapier und sonst vor allem Bücher, die ich mir gewünscht hatte – Christian Morgensterns Werke, Grimms Märchen in drei Bänden, Clemens Brentanos Märchen, zwei illustrierte Filmbücher, über John Wayne und Alfred Hitchcock, Brechts »Kriegsfibel« und das Taschenbuch »Krieg dem Kriege«, mit Fotos von
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