Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
vorausgesagt worden, denn er sei recht schwächlich gewesen. Gewohnt hätten sie in einem Strohhaus im wendischen Stile und im Winter beim Kienspanfeuer am Kamin gesessen. Da habe der Vater – also mein Ururgroßvater – Netze für den Fischfang geknüpft, die Mutter habe mit den Mägden gesponnen, und die Knechte hätten Ruten für das Vieh geschnitzt.
Würste und Schinken im Rauchfang ... draußen Maulbeerbäume und ein Entenpfuhl ... Bis zu seinem zehnten Lebensjahr, schrieb mein Urgroßvater, habe er noch nicht das ganze Dorf gekannt, und die Leute, die »hinter dem Zaun« gewohnt hätten, kleine Hausbesitzer mit einem oder zwei Mietern, seien ihm auch später fremd geblieben.
Für mich bleibt das alte Dorf der Kindheit lebendig in der Seele. An ihm hängt mein Herz, seiner erinnere ich mich so gern. Glücklich der Mensch, der eine selige Kindheit gehabt und dem treue, liebende Elternhände sich segnend aufs Haupt legten!
Sein Vater Gottlieb habe als Ältester einer sechsköpfigen Geschwisterschar sehr früh den Hof und damit zugleich die Sorge für die zwei unversorgten Schwestern und die drei Brüder übernehmen müssen.
Er hat dies treu und redlich getan, und seine Eltern haben an ihm nur einen dankbaren Sohn gehabt, der jeden Kummer und jede Not fern von ihnen zu halten gesucht hat. Die älteste Schwester war in Grimnitz an einen Althäusler Borchert verheiratet. Sie ist in jungen Jahren an der Schwindsucht gestorben.
1874 seien sie in ein neues Hofgebäude gezogen.
Ach, wie viel Tränen hat damals die Mutter vergossen! Die Handwerker waren in ihren Ansprüchen zu unverschämt. Wie froh waren die Eltern, als sie es mit keinem von dieser Sorte mehr zu tun hatten. Und ich habe bis auf den heutigen Tag einen gewissen Widerwillen gegen Maurer und Zimmerleute. Unter ihrer Faulheit und Unverschämtheit haben die Eltern zu sehr zu leiden gehabt.
Na, davon hätten ja auch Mama und Papa ein Lied singen können!
All das Schwere, was der Neubau mit sich gebracht, Vater hatte sich den Arm dabei gebrochen, später stürzte er in den Keller und brach mehrere Rippen, wurde nach und nach vergessen. Wir Kinder wußten lustig mitzuhelfen. Die Schwester mußte in jungen Jahren schon die Magd ersetzen. Wir Jungen den Knecht.
Im Sommer mußten wir gleich um 4 Uhr aufstehen und für das Vieh den Häcksel schneiden. Das war immer eine sehr anstrengende Arbeit. Um 6 Uhr ging es in die Schule. Wir erhielten im Sommer nur 2 ½ Stunden Unterricht. Um ½ 9 kamen wir nach Hause. Dann erhielten wir ein dickes Butterbrot und bekamen den Tornister mit dem Essen für den ganzen Tag umgehängt und die Peitsche in die Hand und mußten die Kühe, Schafe und Gänse auf die Weide treiben.
Der Rang als Kuhhirt galt als ganz besondere Auszeichnung. Es war die höchste Stufe, die man als Schuljunge erreichen konnte. Der Gänsejunge wurde sehr geringschätzig angesehen. Es war auch ein sehr langweiliger Posten, besonders im zeitigen Frühjahr. Wie habe ich mich gefreut, wenn ich einmal einen Menschen erblickte oder einen Vogel sah oder gar ein Nest entdeckte. Stundenlang habe ich den treibenden Wolken zugeschaut und mich oft gefragt, wie es wohl in den Wolken aussehen möchte. Tausende von Fragen sind damals in mir aufgestiegen. Keiner hat mir Antwort darauf gegeben.
Als der jüngste Bruder mir das Amt des Gänsejungen abnahm und ich ein Schafhirt wurde, da ist mir der Wald ein vertrauter Freund geworden. Mit mehreren anderen Jungen des Dorfes gemeinsam trieb ich die Schafe bis zur Ernte in den Wald. Da hatten wir nicht viel aufzupassen. Wir konnten ganz unserm Vergnügen leben. Kein Baum war uns zu hoch. Jedes Nest wurde entdeckt und beobachtet. Hase, Fuchs und Reh belauscht. Die Ameise bewundert. Voller Andacht lauschte ich dem stillen und heimelnden Sausen und Rauschen.
Wenn ich an jene Zeit zurückdenke, dann frage ich mich oft, wie bequem und gut haben es doch unsere Kinder bei der Erledigung ihrer Schularbeiten gehabt.
In diesem Sinne hatte sich auch Mama schon des öfteren geäußert. Mit den Schularbeiten mußte es also wohl von Generation zu Generation immer leichter geworden sein. Aber dafür hatten sich die Schafhirten auch noch nicht mit der Desoxyribonukleinsäure herumplagen müssen.
Mein Urgroßvater war dann mit fünfzehn Jahren als sogenannter Präparand in einen Ort namens Altdöbern verfrachtet worden, zur Ausbildung als Lehrer.
An dem Seminarort hatte ich keinen Bekannten. Es war für mich armen, dummen
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