Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Kriegsversehrten: Dem einen fehlte der halbe Kopf, von den Augen abwärts.
»Das ist ja nun auch nicht gerade weihnachtlich«, sagte Papa, als er das sah.
Ich selbst hatte mich wieder mit Gutscheinen für Hausarbeit aus der Affäre gezogen und mit Wiebke und Volker vereinbart, daß wir uns dieses Jahr die Mühe schenken sollten.
Von Oma Schlosser hatte Mama das Buch »Der deutsche Museumsführer in Farbe« bekommen und von Renate ’ne Weste. Auch der Eierlikör für Papa und der Schokoladenlikör für Volker stammten von Renate. Alles selbstgemacht natürlich. Zur Not hätte die sich auch selber herstellen können, wenn sie nicht auf normalem Wege erzeugt worden wäre.
Für Wiebke gab’s einen Setzkasten, ein Schreibtisch-Set mit Sarah-Kay-Puppen-Scheiß, irgendwelche Bastelbücher, Wolle, Michael Endes Roman »Die unendliche Geschichte« und eine Karte von Tante Therese, die sich entschuldigte: Sie könne nichts verschenken, denn sie sei pleite.
Onkel Walter hatte uns mit einer Abschrift der Jugenderinnerungen von Richard Schlosser dem Älteren bedacht. Das war Papas Großvater väterlicherseits, also mein Urgroßvater. Verfaßt im Juli 1919.
»Ich weiß nicht, wo Walter dieses Schriftstück ausgegraben hat«, sagte Papa. »Das hätte er ja auch mal dazuschreiben können.«
Mama erzählte aus ihrer Kindheit. Wie da einen Tag vor Heiligabend die Großmutter gestorben sei. »Das war vielleicht ’n trauriges Weihnachtsfest, das kann ich euch aber sagen!«
Jaja, sprach da der alte Oberförster, Hugo war sein Name, und er ging schon lange nicht mehr auf die Jagd, doch er schwang sich von Lampenschirm zu Lampenschirm, um das Parkett zu schonen und seinem Sohn das Studium zu ermöglichen, und draußen vor der Tür zog der Dreißigjährige Krieg vorüber ...
Rudi Dutschke war gestorben, ausgerechnet an Heiligabend. In der Badewanne ertrunken, in Aarhus in Dänemark.
Seinen Sohn hatte er Hosea-Che genannt. Ich hätte lieber Emil oder Ignaz geheißen als Hosea-Che. »Nicht mit dem Stuhl kippeln, Hosea-Che!« Wie hörte sich das denn an? »Hosea-Che, du hast dein A-a wieder nicht abgespült!«
»Schauder« hieß eines der Gedichte von Christian Morgenstern.
Jetzt bist du da, dann bist du dort.
Jetzt bist du nah, dann bist du fort.
Kannst du’s fassen? Und über eine Zeit
gehen wir beide die Ewigkeit
dahin – dorthin. Und was blieb? ...
Komm, schließ die Augen, und hab mich lieb!
Immer wieder erstaunlich war die enorme Hitze, die von den Kerzen am Weihnachtsbaum ausging. Was doch so’n paar kleene Flämmchen bewirken konnten.
Mama hatte allerdings auch die Heizkörper voll aufgedreht.
Zu Grimms Märchen gehörte eins über ein eigensinniges Kind, an dem der liebe Gott kein Wohlgefallen hatte, und deshalb ließ er es sterben, aber das tote Kind streckte immer wieder sein Ärmchen aus dem Grab heraus.
Da mußte die Mutter selbst zum Grabe gehn und mit der Rute aufs Ärmchen schlagen, und wie sie das getan hatte, zog es sich hinein, und das Kind hatte nun erst Ruhe unter der Erde.
Ende. Wow, was für ein schönes Kindermärchen! Wer hätte nicht gern eine Amme gehabt, die einen vor dem Einschlafen mit solchem Spökes unterhielt?
Brentanos Rheinmärchen dagegen, die müßten irgendwie was für mich sein, hatte ich gedacht, weil ich ja am Rhein aufgewachsen war, aber die ewige Wiederkehr von Goldfischlein und Wellenschein und Jungferlein, von Wolkenschafen, Traubenduft und Nachtigallenseufzern ging mir auf den Senkel, und ich las mich lieber in den Aufzeichnungen meines Urgroßvaters fest.
Schon vor vielen Jahren habe er den Vorsatz gefaßt, seinen Kindern schriftliche Notizen über die Familie zu hinterlassen, aber nie eine Gelegenheit dazu gefunden. Ganz unerwartet sei er nun jedoch aus seinem Beruf herausgerissen worden und nach Drebkau gefahren, um einem kranken Schwager zur Seite zu stehen.
Im stillen Drebkau, mitten im Schloßpark, fehlt es nicht an Zeit und Ruhe. Ich sitze fast immer allein. Da schweifen meine Gedanken in die Vergangenheit. Die Gegenwart ist so häßlich, so freudeleer, und die Zukunft erscheint mir so trostlos, daß ich nichts von ihr erwarte oder erhoffe. Nur die Vergangenheit erscheint mir noch in goldenem Licht.
Geboren worden war dieser Uropa am 2. Januar 1865 in Balkow, einem alten Bauerndorf im Kreis Weststernberg im Bezirk Frankfurt an der Oder, als viertes von sechs Kindern, von denen zwei ganz jung gestorben seien, und auch ihm selbst sei kein langes Leben
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