Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
den Himmeln ferne Gärten:
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Blätter, die mit verneinender Gebärde vom Baum fielen? Da hatte der Dichter wohl sehr dringend einen Reim auf »Erde« gebraucht.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Auweia. Rainer Maria Rilke, der Roy Black der Lyrik. Die Einsamkeit und alle Sterne und die wie von weit aus fernen Himmelsgärten fallenden Blätter kamen mir entschieden zu dick aufgetragen vor, doch ich verbiß mir jeden Kommentar und begleitete Heike zurück in ihr bescheidenes Kabuff.
Sie bot mir einen Sitzplatz auf der Kante ihrer Matratze an, ließ sich dort selbst im Schneidersitz nieder und drehte sich, wie angekündigt, eine Fluppe. »Willst du dir auch eine drehen?«
Wieso eigentlich nicht? Ich versuchte das mal. Marke Eigenbau: Blättchen glattstreichen, Tabak aus der Tüte zupfen, alles gleichmäßig verteilen und vorsichtig einrollen.
»Sieht mehr wie ’n schwangerer Zeppelin aus«, sagte Heike. »Du darfst nicht soviel in die Mitte tun. Und ab und zu ist mal so’n kleiner Ast dabei, den nimmst du besser raus ...«
Ich gruppierte die Tabakfäden nach Heikes Anweisungen um und führte, so wie ich’s bei ihr gesehen hatte, die gummierte Klebefläche des Blättchens über die Zunge.
»Das Papier nicht zu dolle anlüllen, Mensch, sonst brennt das doch nicht mehr!«
Heike besaß einen viereckigen Aschenbecher mit Deckel, und der Deckel hatte ein hellbraun lackiertes Henkelchen zum Abnehmen, und ich wäre gern noch länger in der Kunst des Zigarettendrehens unterwiesen worden, aber dann klingelte es, und Henrik Osterlohe beehrte uns mit seiner Gesellschaft. Einen Moment lang schien er zu überlegen, ob es angemessen sei, auch für sich selbst ein Plätzchen auf der Matratze zu reklamieren, doch er entschied sich für eine Hockstellung neben der Tür, den Rücken an die Wand gelehnt, und sagte: »Na, ihr?«
»Na, du?« sagte Heike. »Wie isses?«
Statt einer Antwort sonderte Henrik eine Reihe schwer zu deutender Geräusche ab: »Tchäääääh ... hmmprrmm ... pfffffff ... p-p-p-prrr pffffff ... tchääääääh ...« Er zog die Brauen hoch, schnitt ’ne Grimasse, strich sich die langen Haare zurück und sagte: »Da fragste mich aber auch watt!«
Darüber mußten er und Heike lachen, und der Höflichkeit halber lachte ich mit. Zwischen Heike und Henrik ging es anschließend ein Weilchen hin und her in puncto Kunstunterricht. Da hatten sie beide den Lorber, und sie waren sich zwar einig über dessen Nichtswürdigkeit, aber nicht über die beste Hinrichtungsmethode. Henrik hätte dem Verfahren einer Vierteilung durch Traktoren den Vorzug gegeben, während Heike sich für die Idee erwärmte, den Lorber einfach so in Essig eingelegt auf der Kunstbiennale in Venedig auszustellen.
Henriks Blick fiel auf ein Kartenspiel, das auf dem Boden lag. Er nahm es in die Hand und fragte: »Wollen wir was spielen? Zweiunddreißig heb auf? Wie wär’s?«
Zweiunddreißig heb auf? »Da kenne ich die Regeln nicht.«
»Die sind leicht zu lernen«, sagte Henrik, »und am besten lernt man sie beim Spielen. Bist du dabei? Ja oder nein?«
»Ja.«
Henrik warf das Bündel hoch. Die Karten segelten durchs Huck, und Henrik sagte: »Heb auf!«
Zu meiner Schande hatte ich den Witz noch immer nicht kapiert und mußte ihn mir von Heike erklären lassen: »Hier liegen zweiunddreißig Karten. Die mußt du aufheben. Wie der Name schon sagt. Zweiunddreißig heb auf!«
Irgendwann später wollten Heike und Henrik noch in die Top, aber erst einmal holte Heike uns ’ne Kanne Tee und Käsebrote hoch.
Abendbrot auf der Matratzenkante futtern, das war nicht so ganz das Wahre. Und dazu bitterer schwarzer Tee ohne Kandis und Sahne?
In der Top rummste grauenhaft laute Rockmusik. »Ich glaube, hier wird ich nicht alt«, sagte ich zu Heike, was sie wegen der lauten Musik nicht verstand.
»Hier – werd – ich – nicht – alt!« brüllte ich, und Heike brüllte irgendwas zurück, das sich anhörte wie: »Oing hümma ninger neung!«
»Was?«
»Hijomma nönga uka meden!«
»Was??«
Ein Dicker drängte sich mit zwei Bierkrügen zwischen uns durch.
Ich fand’s schwachsinnig, in einen Laden zu marschieren, wo man sich anschreien mußte.
»Ehanong baffte amujo!« brüllte Heike mir ins Ohr. »Mejo hedderborn bewokken!«
Augenrollend, händehebend, kopfschüttelnd und achselzuckend signalisierte ich ihr, daß die sprachliche Kommunikation in der Top auf
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