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Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Titel: Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Henschel
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brach?
    Wiebke nahm Tanzstunden in der Tanzschule Frischmuth. Schon allein der Begriff »Tanzschule« jagte mir einen Schauder über die Haut. Wie gut, daß ich nie einen Fuß in eines dieser Institute gesetzt hatte!
    Von meinem ersten selbstverdienten Geld als Zeitungsbote kaufte ich mir die zwanzigbändige Suhrkamp-Ausgabe der Werke von Bertolt Brecht.
    Die frühen Gedichte fand ich besser als die klassenkämpferischen.
    Ich z. B. spiele Billard in der Bodenkammer
    Wo die Wäsche zum Trocknen aufgehängt ist und pißt.
    Darüber regt sich in dem Gedicht dann die Mutter auf, und sie jammert, diese Ausdrucksweise werde sie noch unter die Erde bringen.
    Da kannst du nur weggehen und deine Erbitterung
niederschlucken
    Wenn mit solchen Waffen gekämpft wird, und rauchen,
bis du wieder auf der Höhe bist,
    Dann sollen sie eben nichts von der Wahrheit in den Katechismus drucken
    Wenn man nicht sagen darf, was ist.
    Es waren auch viele Liebesgedichte dabei.
    Ich habe dich nie je so geliebt, ma sœur
    Als wie ich fortging von dir in jenem Abendrot
    Der Wald schluckte mich, der blaue Wald, ma sœur
    Über dem immer schon die bleichen Gestirne im Westen
standen …
    Manches davon wollte ich Heike mal vorlesen. Manches aber auch lieber nicht:
    Braunen Sherry in den Bäuchen
    Und im Arme noch das Säuchen
    Das uns nachts die Eier schliff.
    Zwischen Weiden tat ein jeder
    In den morgenroten Äther
    Einen ungeheuren Schiff.
    Das hätte Heike mißfallen; da war ich mir sicher.
    Einige Gedichte waren auf komische Art brutal:
    In mildem Lichte Jakob Apfelböck
    Erschlug den Vater und die Mutter sein …
    Aber dann sang Brecht so treuherzig das »Lob des Kommunismus«, als ob er noch nie was von dessen Schattenseiten vernommen hätte.
    Die Ausbeuter nennen ihn ein Verbrechen
    Wir aber wissen:
    Er ist das Ende der Verbrechen.
    Wie schön für die Opfer der stalinistischen Säuberungen!
    Grauslicher als alles andere kam mir allerdings die Lyrik des Hugo von Hofmannsthal vor, die in Deutsch auf dem Lehrplan stand.
    Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen
    Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
    Und alle Menschen gehen ihre Wege.
    (Wenn auch leider erst nach dem Klingelzeichen.)
    Was frommts, dergleichen viel gesehen haben?
    Und dennoch sagt der viel, der »Abend« sagt,
    Ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt,
    rumpeldipumpel,
    Wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.
    Tiefsinn, der aus Worten rinnt? Und woher kommt der Honig, wenn die Waben hohl sind, Herr von Hofmannsthal?
    Und dennoch sagt der viel, der Abi sagt. Brecht hatte recht:
    Und weil der Mensch ein Mensch ist
    Drum will er was zu essen, bitte sehr!
    Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt
    Das schafft kein Essen her.
    Geschweige denn schweren Honig aus hohlen Waben.
    Widerstrebend ging Heike mit mir in einen Horror-Thriller: Vater, Mutter und Sohn verbringen den Winter in einem abgelegenen Hotel, wo es spukt. Auf den Fluren gehen die Geister ermordeter Kinder um, im erschröcklichsten Apartment lauert eine Untote in der Badewanne, und der von Jack Nicholson gespielte Kleinfamilienvater dreht durch und rennt mit dem Hackebeil durch die Landschaft, um alle abzumurksen.
    »Nää«, sagte Heike danach. »In solche Filme geh du man lieber mit Hermann rein!«
    Mit Hermann hatte ich ganz was anderes vor. Am zweiten Herbstferientag rüsteten wir uns zu einer Sauftour durch Meppen. Wir begannen mit zwei Bierchen in meinem Zimmer und legten auf dem Weg in die Innenstadt Biwaks an; das heißt, wir versteckten volle Bierflaschen im Verkehrsinselgesträuch oder hinter Stromkästen, um auch nach der Polizeistunde auf dem Rückweg noch was zu haben.
    An der Bokeloher Straße befand sich eine Pinte, in der sich manchmal Lokalprominente von der CDU versammelten.
    »Los«, sagte Hermann, »da gehen wir jetzt rein!«
    Warum auch nicht? Wir waren unbescholtene, volljährige Bürger.
    Im Schankraum hing schwerer Zigarrenqualm. Der dicke Wirt sah uns aus trüben Augen an, mit Tränensäcken untendran. Die hatten das Format von Reisekoffern.
    Wir setzten uns an den Tresen und orderten zwei Halbe, und ich bestellte mir dazu Zigarren. Schwarze Vierziger. Die wollte ich auf Lunge rauchen, denn ich war ja kein Schwachmatikus.
    Hermann prostete mir zu. »Wir tun was gegen die Rezession!«
    Erinnern konnte ich mich am nächsten Morgen noch genau daran, daß wir in einer Disco Billard gespielt hatten und daß Hermann sich einmal auf die Tischkante gesetzt und den Stoß mit dem Queue irgendwie

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