Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
ging. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Holzmüller den Niebold und den Albers anstieß. Aber sie hielten die Klappe.
Die Stunden, in denen ich meinen Senf über »Andorra« abgab, zogen sich hin, und danach hatte ich für den Rest meines Lebens genug von den Parabelfiguren aus dem Modellbaukasten des Dramatikers Max Frisch. Das Thema Vorurteile hatte der sich doch nur vorgeknöpft, um seine eigene Vorurteilslosigkeit gebührend herauszustreichen und irgendwas pädagogisch Wertvolles für den Deutschunterricht aus dem Boden zu stampfen. Und das Kalkül war aufgegangen: Jetzt mußten sich selbst die Abiturienten in Meppen mit dem Langweilergedöns von Frisch abplagen.
»Hier, ey!« schrie der Holzmüller im Flur, beim Weggehen. »Der Schlosser! Holt für Heiko Meier die Kastanien aus dem Feuer!«
»Dankeschön«, sagte Heiko, als wir im Pub vor zwei Bierhumpen beieinander saßen. »Danke, danke, danke! Auf deine Gesundheit!«
Nach dem zweiten Halben konnte ich schon kaum noch geradeauskucken, aber Heiko bestand darauf, sein Versprechen einzulösen und mir auch noch einen dritten auszugeben.
Zuhause legte ich mich für ein Nickerchen aufs Bett und wachte erst nachts wieder auf, mit verrutschtem Oberhemd, pelziger Zunge und bis zum Bersten gefüllter Blase.
Vier Uhr morgens! Und das alles nur für Heiko Meier und Max Frisch!
In einem kleinen Text gestand Tucholsky, daß ihm ein Wort fehle:
Der Wind weht durch die jungen Birken; ihre Blätter zittern so schnell, hin und her, daß sie … was? Flirren? Nein, auf ihnen flirrt das Licht; man kann vielleicht allenfalls sagen: die Blätter flimmern … aber es ist nicht das. Es ist eine nervöse Bewegung, aber was ist es? Wie sagt man das?
Ich wußte, was er meinte, aber auch mir fiel kein passendes Wort dafür ein.
Die Schneehaufen schmolzen rapide zusammen, und man konnte den Frühling spüren – in den Lenden, in der Nase und im Brustkorb. Ja, man kriegte direkt Lust, die alten Wanderlieder aus der »Mundorgel« zu schmettern.
Leuchtet die Sonne, ziehen die Wolken,
klingen die Lieder weit übers Meer …
Leidergottes war Heike weitab davon. In sich gekehrt. Verdrossen. Wortkarg.
Warum, wußte sie selber nicht.
Am Freitagabend gaben sich die Lohmanns mit zwei Flaschen Rotwein im Gepäck die Ehre.
»Und wo ist der Meister?« fragte Herr Lohmann. »Doch wohl nicht etwa im Keller?«
Hermann hatte Heiner Volkert und mich nach Rütenbrock eingeladen, zu einem »Meeting«, bei dem über die Lage der Arbeiterklasse beraten werden sollte.
Darauf hatte Hermann sich sorgfältig vorbereitet. Er begann mit einer im Stehen gehaltenen Ansprache in seinem Zimmer: »Genossen! Der Verlauf der Geschichte hat immer und immer wieder die Richtigkeit der Ausführungen Georgi Dimitroffs auf dem siebenten Weltkongreß der Kommunistischen Internationale erwiesen, mit denen in Fortführung des dreizehnten Plenums des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale die eminente Bedeutung des emsländischen Proletariats für die Lösung der sozialistischen Aufgaben hervorgehoben worden ist. Darin haben Lenins Feststellungen über die dialektische Einheit des Kampfes für die Demokratie und des Kampfes für den Sozialismus ihre schöpferische Anwendung und Weiterführung gefunden …«
»Verdammt trockene Luft hier«, sagte Heiner und beförderte aus den inneren Untiefen seines voluminösen Mantels eine Flasche Wodka zutage.
Das Bier, das ich mitgebracht hatte, stellte Hermann nach draußen auf die Fensterbank zu seinem eigenen Fundus.
Wir fingen mit dem Wodka an – »Nasdrowje!« –, und dann faßten wir ein trilaterales Abkommen zwischen unseren Wohnorten Rütenbrock, Haren und Meppen ins Auge. Die Speerspitze, meinte Hermann, müsse natürlich das von mir ideologisch geschulte Meppener Industrieproletariat bilden. Er selber werde durch gezielte Einflüsterungen die Unzufriedenheit im Bauernstand von Rütenbrock schüren, während Heiner die Agitation in den Harener Handwerksbetrieben obliege. »Und denkt daran, Genossen: Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf!«
Einmal steckte Hermanns kleine Schwester ihre Nase in die Tür und fragte, ob wir was futtern wollten. Es gebe noch einen Rest Erbsensuppe.
»Erbsensuppe!« rief Hermann gequält. »Wir halten hier ein hochwichtiges politisches Brainstorming ab und verbitten uns jede unqualifizierte Einmischung! Raus!«
Das sei unentschuldbar, sagte er. »Ich bin derlei Provokationen schon gewohnt. Und ganz offen
Weitere Kostenlose Bücher