Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
trotzdem nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann …«
»Das heißt also«, sagte Astrid, »wenn Martin jetzt über mich herfällt und mir die Wäsche vom Leib reißt, dann sitzt du ganz relaxed daneben, ohne einzugreifen?«
»Wo denkst du hin? Dann leiste ich gewaltlosen Widerstand!«
»Und wie?«
»Durch gutes Zureden!«
»Und wenn das bei Martin nicht verfängt?«
»Dann haue ich ihm eins aufs Dach!«
»Ihr Männer seid schon arme Schweine«, sagte Heike.
Die Damen klinkten sich bereits nach dem zweiten Bier aus und gingen ihrer Wege, während Hermann und ich unseren Schlachtplan aktualisierten. Ohne weiblichen Anhang hatte man ja gleich ’ne viel freiere Hand. Wir drehten einen Schlenker zu Aldi, um uns mit Hannen-Alt zu versorgen, schritten rüstig aus und legten auf einer Bank am Haseufer hinter der Schülerwiese einen Zwischenhalt ein.
School is out now we’re gonna have some fun …
Was hatte man nicht alles durchgenommen. Ablativ, Elektrolyse, Primfaktoren, Permafrostböden, Dreifelderwirtschaft und Septuaginta. Balance of Power. Monroe-, Truman-, Hallstein- und Breschnjew-Doktrin. Entente cordiale. Wiener Kongreß. Prager Fenstersturz. Emser Depesche. Wormser Edikt.
Ipse, ipsius, ipsi, ipsum, ipso, ipsi, ipsorum …
La France d’outre-mer und accent circonflexe.
Nie wieder irgendwas büffeln müssen über Mitose, Meiose, anaerobe Bakterien, die semipermeable Membran, das beschränkte endoplasmatische Reticulum und sonstige gequirlte Kacke. Adios, Ribosom! Mach’s gut, diploider Chromosomensatz! So long, dominante und rezessive Erbmerkmale! Fahrt zur Hölle, Analysis I & II , Leukocyten, Plasmaproteine, Agglutinationen, Transmitter, Sauerstoff-Isotope, Schwingungsamplituden, Zirkeltraining und ihr anderen Stressoren!
Nie wieder was aufhaben. Und wen man nie mehr wiederzusehen brauchte! Die Lehrer, die sowieso. Aber auch die Herren Mitschüler – Holzmüller, Buddrich, Niebold, Albers, Harms, die ganzen Bagaluten: Mit denen hatte sich’s ausgemitschülert. Arrividerci!
Zwei Bierpullen nahmen wir ins Bauhaus mit und gluckerten sie heimlich aus, so halb unterm Tisch.
Hermann übernachtete bei uns, in dem Gästezimmer oben rechts von der Treppe, und beim Frühstück plusterte er sich auf: »Seit gestern bin ich ein staatlich anerkannter Kriegsdienstverweigerer, Frau Schlosser, wußten Sie das schon?«
Wenn Papa dabeigesessen hätte, wäre Hermann wohl nicht ganz so prahlerisch mit diesem Bestandteil seiner Vita umgegangen. Einem Bundeswehrbeamten, in dessen Haus man zu Gast war, sagte man sowas auch als Pazifist nicht einfach freudig ins Gesicht.
Ich ging dann noch bis zur Bushaltestelle mit. In der Bokeloher Straße mußten wir uns durch einen Schwarm von Grundschülern manövrieren. Zu einem dieser I-Dötze sagte Hermann: »Na, mein Kleiner? In der wievielten Klasse bist ’n du?« Und weil der Knilch einräumte, erst in die dritte Klasse zu gehen, bekam er von Hermann fünfzig Pfennig geschenkt. »Als Zehrgeld! Mamma mia, noch zehn Jahre bis zum Abitur! Das wäre 1991!«
Unvorstellbar.
Ich kriegte einen neuen Reisepaß. Gültig bis zum 2. April 1986.
Für alle Länder/For all countries/Pour tous pays
Ganz hinten stand drin:
Dieser Reisepaß ist Eigentum der Bundesrepublik Deutschland.
Und wenn ich ihn verhökerte?
Im Libanon trugen syrische Truppen schwere Gefechte mit »christlich-falangistischen Milizen« aus. Das mußte man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Was Jesus wohl von diesen Milizen gehalten hätte?
Sogleich nachdem mein Antrag auf Zurückstellung vom Wehrdienst genehmigt worden war, machte Heike Nägel mit Köpfen und verdingte uns beide als Saisonkräfte. Im Juli und im August würden wir auf Norderney arbeiten; sie als Zimmermädchen und ich als Spüler. Für 800 Mark monatlich. Plus Kost und Logis. Mit Brief und Siegel.
Ein Traumjob. Vom Tellerwäscher zum Millionär, das kannte man doch!
»Und wir haben dann auch ein gemeinsames Zimmer«, sagte Heike. »Unser erstes.«
Formidabel! So wie in dem einen Song von Cohen über die Vorzüge seines Wohnraums:
There’s only one bed and there’s only one prayer,
I listen all night for your step on the stair.
Am Telefon sei allerdings danach gefragt worden, ob ich kurze Haare hätte.
Meine Haare waren weder kurz noch lang, sondern mittel, aber was ging das den Arbeitgeber an?
Zum Jaulen komisch fand ich die im ZDF gezeigten Schwarzweißaufnahmen von irgendeinem SED -Parteitag. Da marschierte eine
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