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Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Titel: Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Henschel
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Fernsehturm wandern, so wie früher, das schied aus. Wir waren ja keine Bübchen mehr.
    Über eine Spazierfahrt zu den Stätten meiner Kindheit ließ Michael jedoch mit sich reden, und so juckelten wir nach dem Frühstück nach Koblenz-Lützel, zur Straßburger Straße 5 mit dem schäbigen, geteerten Hinterhof, in dem ich als Kleinkind Kett-Car gefahren war. Gittertor, Teppichstangen, Sandkasten, alles noch da, nur viel kleiner als in meiner Erinnerung. Und an unserer alten Haustür standen bösartige fremde Namen auf den Klingelschildern: BIESE , RACHLINGER , GNITZ .
    Ich sah zum Küchenfenster hoch: Von da oben hatte ich zu Beginn meiner irdischen Laufbahn durch die hohle Hand ins Schneegestöber hinaufgeschaut. Die ganze Welt war jung gewesen und voll von frischgebackenen Weltstars – den Beatles, Cassius Clay, Franz Beckenbauer …
    Aber eigentlich war Lützel ’ne arschige Gegend. Ausgerotzte Kaugummis, Abgase, Kronkorken, Trübsal und Wirtshausgebrüll. Wir fuhren zurück über Mosel und Rhein und zum nächsten ehemaligen Familienstammsitz auf der Horchheimer Höhe. Als Kinder hatten Renate, Volker, Wiebke und ich da irgendwo am Hang bei jeder Heimkehr einen himmelhohen Autoreifen stehen sehen, bei ’ner Kfz-Werkstatt oder so, als Reklamegag, und ihn den »Autoreifen vom lieben Gott« genannt, doch der Reifen war nicht wiederzufinden.
    Schade. Vielleicht hatten sie den eingemottet.
    Unser Reihenhaus stand aber noch da. An der Grünen Bank 10. Vom Garten konnte man vor lauter Hecke kaum noch was erspähen.
    »Und nu?« fragte Michael.
    Bei den verflossenen Nachbarn schellen? Aber was ich hätte denen dann sagen sollen?
    Ich ließ es sein. Stattdessen gingen wir den steilen Weg zur Schlüsselblumenwiese rauf. Wie hieß es noch bei Hölderlin?
    Mich erzog der Wohllaut
    Des säuselnden Hains …
    Ziemlich zugewachsen, die Wiese. Lange wollte Michael sich da nicht aufhalten.
    Ich verstand die Stille des Aethers,
    Der Menschen Worte verstand ich nie.
    Ein Stück weiter nördlich war eine monströse Autobahn im Werden. Wir entschieden uns für eine Route über Pfaffendorf und Arzheim zur betagten Feste Ehrenbreitstein. Oft belagert, nie erobert. Von dort hatte man die Moselbrücken und das Deutsche Eck sehr gut im Blick und auch das diesige, flache, verworren bebaute Industriegebiet westlich von Koblenz.
    Für die Freunde militärischen Gepränges hatte man ein »Ehrenmal des deutschen Heeres« errichtet, mit einem in Stein gehauenen Soldaten in Rückenlage auf Eichenlaub. Plus Gedenktafel:
    Allein aus den Reihen des Heeres gaben im Zweiten Weltkrieg dreieinhalb Millionen Soldaten ihr Leben für Deutschland.
    Wieso »für Deutschland«? Und wieso »gaben«? Erstens hatten die ihr Leben nicht »für Deutschland« gegeben, sondern für das kriminelle Gesocks im Führerhauptquartier sowie für Daimler-Benz, die IG Farben, Siemens, Thyssen, Krupp und Flick, und zweitens war »sein Leben geben« ein reichlich schleimiges Synonym für Erschossenwerden, Erfrieren, Verbrennen, Abstürzen, Verbluten, Ersaufen, Ersticken oder Explodieren.
    Michaels Brüder waren verreist, und weil es sonst nichts zu tun gab, fuhren wir seine eine Schwester besuchen, die in Höhr-Grenzhausen wohnte und ein Baby hatte. Das kroch im Flur auf dem Linoleum rum. Wir kriegten jeder ’ne Sprite und durften uns auch Gummibärchen nehmen, und auf Wunsch seiner Schwester mußte Michael an der Windel riechen, ob sie voll war.
    Das kam ja auch noch hinzu, wenn man Kinder hatte: Windeln wechseln! Durch ein Meer von Säuglingsscheiße waten! Und wer dankte einem das?
    Über die Zeit nach dem Germanistikstudium hatte Michael sich noch keine großen Gedanken gemacht. Hundertprozentig ausgeschlossen war für ihn nur der Lehrerberuf. »Ich bin doch nich’ vom Wahnsinn umjubelt und geh’ in die Penne zurück …«
    Ins Wambachtal spazierten wir dann halt doch. Das heißt, wir sahen nach, ob noch alles vorhanden war: Fischteiche, Quelle, Schlucht und Höhle. Auch Michael hatte sich, wie er sagte, schon seit Jahren nicht mehr im Wambachtal blicken lassen. Und wie hatten wir da als Jungs die Gegend unsicher gemacht! Jeden Tag! Jetzt war’s total langweilig und völlig witzlos, sich das alles nochmal anzukucken.
    Sonntagabends lief im Fernsehen »Große Freiheit Nr. 7«. Eine schweinsblöde Schmonzette.
    Auf der Reeperbahn nachts um halb eins,
    ob du ’n Mädel hast oder hast keins …
    Das Bekotzteste war die naßforsche Fröhlichkeit, die der alte Haudegen

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