Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Babyfotos wiedergekommen: Lisa mit zuen Augen, Lisa mit offenen Augen, Lisa auf dem Wickeltisch und Lisa im Strampelanzug. Wie jedes andere Primatenbaby halt. Wer da Familienähnlichkeiten sah, der hätte sie auch bei ’nem Kapuzineräffchen entdeckt.
Im Bauhaus traf ich Axel Reinert. Dem war es irgendwie gelungen, seine Wehrpflicht als Pannenhelfer beim Technischen Hilfswerk abzugelten. Schlimm sei’s nur gewesen, wenn sich bei Unfällen Kinder unter den Opfern befunden hätten. »Einmal haben wir ’n totes Mädchen aus ’m Wasser gezogen. Erst dreizehn Jahre alt. Die Bilder, die gehen mir heute noch nach …«
Wegen meiner Versetzung empfahl er mir, den Regionalbetreuer für Zivildienstleistende anzuschreiben. Manfred Gröning in Quakenbrück. Der werde bestimmt was für mich deichseln.
Ich schickte noch am gleichen Tag meinen Versetzungsantrag an das Bundesamt und eine Petition an den Regionalbetreuer: Ich könne kein Blut sehen und sei daher schlichtweg deplaziert beim DRK . Und das war nicht gelogen.
Im November 1976 geriet mein Vater mit der Hand in eine rotierende Kreissäge. Ich war damals zugegen; der Anblick der zerrissenen Finger und des Blutes sind mir unvergessen geblieben. Auch heute wäre ich in einer derartigen Lage nicht fähig, die notwendigen Maßnahmen der Ersten Hilfe rasch und korrekt durchzuführen, auch wenn sie mir, rein theoretisch, gegenwärtig sind. Damals war es mir nicht einmal möglich, mich telefonisch verständlich zu machen.
Als Versetzungsgrund mußte das eigentlich genügen. Wenn man selber mal blutüberströmt im Straßengraben lag, dann wollte man doch nicht vom Rettungssanitäter vollgekotzt werden.
Zum DRK in der Dalumer Straße waren’s mit dem Fahrrad gut zwanzig Minuten. Der Mann, der dort das Szepter schwang, hieß Bölsker und nahm mein Versetzungsbegehren nicht sonderlich ernst. »Voll eingesetzt werden Sie hier sowieso erst mit einem Jahr Fahrpraxis«, sagte er und schien sich einzubilden, daß mir damit irgendwie geholfen sei.
Des weiteren erfuhr ich von einem vierwöchigen Kursus in Erster Hilfe, den ich spätestens nach einem Vierteljahr zu absolvieren hätte, und zwar in Kiel. Vorher würde ich bei Notfalleinsätzen nur als Beifahrer mitkommen.
»Wenn’s hart auf hart geht, zeigen wir dir schon, was du zu tun hast«, meinte einer der hauptberuflichen Sanitäter. »Wenn da so ’n appes Bein am Wegrand liegt, dann nimmst du’s einfach auf die Schulter! Hepp!«
Im Parterre war die Funk- und Telefonzentrale, und im ersten Stock gab’s links einen Aufenthaltsraum mit Sofas, Fernseher, Kühlschrank und Kaffeemaschine und rechts eine Reihe von Ruheräumen mit Liegen für die Nachtschicht.
Ich wurde einem vollbärtigen Hünen um die dreißig zugeteilt, der auf den Namen Gerlinsky hörte und mir einschärfte, daß man nicht »Bahre« sage, sondern »Trage«. Aufgebahrt würden nur Leichen. Verletzte kämen auf die Trage.
In seinem wunderbaren, schweren, tief auf der Straße liegenden und mit superbequemen Sitzen ausgestatteten Mercedes-Krankenwagen rollten wir zum Ludmillenstift und überführten einen Patienten nach Lingen. Als wir die Trage wieder verstaut hatten und ich die Heckklappe zumachen wollte, rief Gerlinsky: »Knall mir bloß nicht die Tür auf ’n Kopp!«
Vor dem Schließen der Heckklappe die Augen öffnen. Oberstes Gebot.
Sonst war nichts mehr los an meinem ersten Arbeitstag, und auch der zweite ging völlig ereignislos über die Bühne. Solange kein Unfall passierte, schob man als Rettungssanitäter eine wahrlich ruhige Kugel. Man mußte nur auf dem Posten sein und manchmal tanken fahren.
Von der Bundeswehr erhielt ich postalisch eine Wehrdienstbescheinigung nach § 1412a RVO , § 134a AVG und § 140 RKG . Und was sollte ich damit machen? Überm Bett an die Wand nageln?
Es hatte geschneit. Die armen Zeitungsboten. Und die armen Soldaten! Aber die hatten es ja nicht anders gewollt.
Bei so ’nem Wetter exerzieren. Schauderbar. Oder ins Manöver ziehen! Graueisige Geschwader. Mit dem Klappspaten Panzergräben ausheben und dabei noch Anschisse kassieren …
Ich sollte Blutkonserven von Haselünne nach Meppen bringen. Gerlinsky hatte vormittags frei, und ich durfte seinen Mercedes-Benz nehmen. Wie gravitätisch der Motor schnurrte! Welche Schubkraft unter der Kühlerhaube schlummerte! Und wie stilvoll man in so einem Vorzeigemodell aus bestem Stall über die Straßen glitt! Das war eher ein Luftkissenboot als ein Automobil. Wenn die
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