Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
wählen.
Bei der AWO zeigte mir Frau Perlacher, wo die Kaffeemaschine stand und wie man sie bediente. Dann drehten wir eine Runde. Vorne links Frau Hülshoff, die weißhaarige Frau vom Chef; vorne rechts die rundliche Frau Reding; ein Zimmer weiter der für die Jugendarbeit zuständige Herr Strothe; gegenüber der momentan in einer Besprechung befindliche Herr Bradebecher; geradeaus nach hinten raus Herr Thielke, 38 Jahre jung und seines Zeichens Abteilungsleiter; mit ihm im selben Raum Frau Öhlschläger, die Chefsekretärin, und linkerhand – »Dürfen wir mal ganz kurz stören?« – das Büro des Geschäftsführers, Herrn Hülshoff, der eine Statur hatte wie ein Nilpferd und für die SPD im Stadtrat saß.
Zu Frau Perlachers Reich ging es hinten rechts vom Flur durch ein leerstehendes Durchgangszimmer. Ich sollte den zweiten Schreibtisch bei ihr im Büro bekommen, der aber noch nicht freigeräumt war. Für den Anfang kriegte ich einen Notsitz in Frau Hülshoffs Büro. Dort mußte ich Briefe eintüten und die Umschläge frankieren. Zum Befeuchten der Marken konnte ich ein oranges Schwämmchen nehmen, das in einer runden dunkelgrünen Halterung steckte.
Oben auf dem Regal hinter Frau Hülshoff standen dreizehn Aktenordner mit schwerem Rechtsdrall, die laut Rückenaufschrift alle noch aus dem Jahr 1975 datierten. Der ganz rechts stehende Ordner neigte sich lebensüberdrüssig zur Seite und drohte jeden Moment abzustürzen. Und trotzdem hatte eine Spinne an diesem Wackelkandidaten ihr Netz befestigt.
Wenn Frau Hülshoff keine Telefongespräche führte, führte sie persönliche Gespräche mit ihrem Mann oder mit Frau Reding oder mit Frau Öhlschläger oder mit wechselnden, von außen hereingeisternden Klienten oder Günstlingen der Arbeiterwohlfahrt. Ich war ganz Ohr und hörte heraus, daß die CDU und die FDP den AWO -Etat um sechzigtausend Mark kürzen wollten und daß dagegen Unterschriften gesammelt wurden.
Einmal mußte ich zur Bank laufen und Überweisungsformulare abgeben, und da mir der Magen knurrte, kehrte ich unterwegs in eine Imbißstation ein und aß mich an einem halben Hähnchen mit Pommes satt.
Frau Perlacher arbeitete nur halbtags. Als sie aufbrach, fragte sie mich: »Wo wohnst du denn jetzt überhaupt?«
»Bei meiner Freundin. Vorläufig.«
»Dann sag ihr einen lieben Gruß von mir, und sie soll dir ’n steifen Grog einschenken. Wiedersehn. Bis morgen früh.«
Jetzt waren wir schon beim Du.
Am Feierabend fuhr ich mit dem Bus zur Uni, Wohnungsangebote prüfen. Am Schwarzen Brett hatte jemand ein WG -Zimmer im Stadtteil Gellershagen inseriert: 12 qm für 170 DM Kaltmiete, in der Bonhoefferstraße, nur drei, vier Abbiegungen entfernt von Heikes Schützengraben.
Unter der Telefonnummer, die dabeistand, meldete sich eine Bärbel. Sie hatte Zeit, und schon zwanzig Minuten später war ich da und drückte auf den Klingelknopf. Es handelte sich um ein gediegenes Einfamilienhaus mit einer Wohngemeinschaftsetage im ersten Stock. Bärbel, eine schwergewichtige Person von Anfang zwanzig, zeigte mir das verwaiste Zimmer: Es lag zum Garten raus, der eher einer Parkanlage glich, mit Rhododendronbüschen und Fichten und Birken und einer Rasenfläche im Golfplatzformat. Ein Tisch und ein Bett waren bereits vorhanden, und es gab einen hellbraunen Teppichboden, eine Außenjalousie und hinten links ein Türchen zu einem Nebengelaß, das sich als Kleiderkammer eignete.
Die anderen beiden Zimmer bewohnten Bärbel und eine etwas kleinwüchsige Anglistikstudentin namens Edith. Bärbel war Kindergärtnerin.
Nach vorne raus befanden sich eine schmale, puppenstubenhafte Küche und ein schmuckloses WC sowie das Badezimmer mit zwei Handwaschbecken, Wanne und Waschmaschine. Das Zimmer gleich links von der Etagentür wurde vom Hauseigentümer als Büro genutzt. Der war Unternehmensberater von Beruf.
»Wir sind hier aber keine reine Zweck- WG «, sagte Bärbel. »Wir wollen manchmal schon auch was zusammen machen. Essen kochen, Feste feiern oder auch mal Kuchen backen oder so …«
Edith nickte dazu.
Ich nickte ebenfalls. Bärbel und Edith schienen ganz verträglich zu sein, das Zimmer war okay, gegen gemeinsames Kochen, Feiern und Backen hatte ich nichts, und zur Innenstadt waren’s nur drei Kilometer.
Die Warmmiete betrug 200 Mark.
Nachdem ich von Bärbel und Edith examiniert und für WG -tauglich befunden worden war, mußte ich mich bei Herrn Kruse vorstellen, dem Vermieter, der mit seiner Frau und seinen drei
Weitere Kostenlose Bücher