Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
womöglich.
Besser erstmal weiterstricken. Mona sollte sich ruhig vergewissern können, daß ich nicht zu den Typen gehörte, die es schamlos ausnutzten, wenn ihnen eine Frau den Kopf auf die Schulter legte.
Es war nur das Nadelklappern zu vernehmen, bis Mona sich in voller Länge auf die Matratze gleiten ließ, die Hände hinter dem Kopf verschränkte und leise ein Lied vor sich hinzusingen begann: »I want it na-hooow … ra-hiiight na-hooow …«
Ihr T-Shirt war hochgerutscht, so daß der Bauchnabel freilag, und alles an ihr war atmende Erwartung.
»I want it na-hooow … ra-hiiight na-hooow …«
Verstanden. Ich sollte das Stricken beenden und ihr einen Kuß geben. Deswegen war ich ja gekommen. Das wußten wir beide. Ich wußte, daß sie es wußte, und sie wußte, daß ich wußte, daß sie es wußte …
Erstmal noch eine Masche aufnehmen. Und noch eine. Und noch eine.
Herrschaftszeiten! Das war doch kein so großer Akt, das Strickzeug hinzulegen und Mona zu küssen. Auf ihre schwellenden Lippen. Sie wartete darauf!
Noch eine Masche.
Mein Herz schlug heftig.
Jetzt! Leg das Strickzeug weg, Martin Schlosser. She wants it.
Now. Right now.
Noch eine Masche. Du Esel! Jetzt könntest du in ihren Armen liegen!
Wozu strickst du noch? Wozu, verdammt?
Mona hatte aufgehört zu singen.
Ihre Bauchdecke hob und senkte sich sanft.
Jetzt.
Nein. Drei Maschen noch.
Countdown.
Drei.
Zwei.
Eins.
Null.
Start.
Ob Mona hören konnte, wie mir das Blut in den Schläfen pochte?
Lieber noch drei Maschen aufnehmen. Oder fünf. Oder sieben?
Draufgängerisch sein, das hätte es gebracht!
Mona gähnte und rückte ein wenig von mir ab, und das war’s.
Ich hatte es versiebt.
Und zwar irreversibel. Bei Mona brauchte ich mich nicht mehr blicken zu lassen; das hatte ich ihr beim frostig ausgefallenen Gutenachtsagen angemerkt. Da half kein Drehen und kein Wenden.
Es war so wie in dem einen Song von Cohen:
I came so far for beauty,
I left so much behind …
Und dann:
But no, I couldn’t touch her
With such a heavy hand.
Her star beyond my order
Her nakedness unmanned.
Den Schal, dieses kompromittierende Sinnbild meines Versagens, feuerte ich unten in meinen Kleiderschrank, und dann ging ich nachschauen, ob noch Bier im Keller war.
Tante Hanna lag nach einem Sturz mit Oberschenkelhalsbruch in Lindau im Krankenhaus. Alte Damen schienen anfällig zu sein für diese Sorte Knochenbruch. Und nun rächte es sich, daß Tante Hanna als Ruheständlerin in den fernen Allgäu gezogen war. In Lindau konnte keiner von der Familie mal eben mit Konfekt und Blumen vorbeigeschneit kommen.
In El Salvador hatten Regierungstruppen neunhundert Zivilisten ermordet und die Frauen vorher auch noch vergewaltigt. Und wer hatte diese Truppen ausgebildet? Spezialisten der US -Armee. Unsere Schutzmacht. Was hätte dazu wohl George Smiley gesagt?
Nach einer langen Fahndung stieß ich im neunten Jahrgang der Akzente auf ein gutes Gedicht. Es handelte davon, daß ein Mann einem anderen, der stumm und allein im Winkel sitze, immer ein Glas Bier oder Wein schuldig sei:
Bis die Augen nicht unstet mehr wandern
und sich aufhellt das bittre Gesicht;
dies schuldet ein Mann einem andern,
aber zuhören muß er ihm nicht.
Verfaßt von einem gewissen Theodor Kramer.
Beim DRK war ein Brief für mich in der Post: Mit Wirkung vom 25. 01. 82 würde ich nach Bielefeld versetzt.
Yabba-dabba-duh! Bassa Teremtetem! Heißa, Kathreinerle! Die Lerche schwingt sich in die Luft! O Täler weit, o Höhen! Ob da der Gröning dran gedreht hatte? Go, tell it on the mountain!
Beigelegt war ein Gutschein zum Eintausch gegen einen Fahrausweis der Deutschen Bundesbahn.
Doch die Sache hatte einen Schönheitsfehler:
SIE HABEN IN DER VON DER DIENSTSTELLE ZUGEWIESENEN UNTERKUNFT ZU WOHNEN .
Was sollte das bedeuten? Bei der AWO hatte es geheißen, daß ich mir ein Zimmer suchen könne!
Nach Schichtende hängte ich mich eiligst ans Telefon, um die Unterkunftsfrage zu klären. Das dauerte nur eine halbe Minute: »Alles Quatsch«, sagte Frau Perlacher. »Wir haben hier überhaupt keine Unterkünfte zum Zuweisen. Sie nehmen sich ’ne bezahlbare Wohnung, und fertig ist die Laube!«
Dann rief ich Heike an und weidete mich an ihrem Freudengeheul.
Himmlisch. Endlich, endlich, endlich hatte ich den Freifahrtschein für meinen Exodus aus Meppen! Nach sechseinhalb zerdehnten Jahren der Malaise und der Schmach!
In Bielefeld würde ich erst einmal in Heikes Zimmer
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