Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
verschickte es an die Verwandtschaft. Tante Dagmar tütete ich ein paar Exemplare mehr ein, »für zum Verteilen im Funkhaus«, wie ich ihr schrieb. Und es sollten sich auch andere Redaktionen wundern.
Wiebke hatte in Mathe ’ne Fünf und mußte sich allerlei anhören. Daß die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt hätten, daß sie sich noch das Abitur vermasseln werde, daß ihr der Basketballverein nicht wichtiger sein dürfe als das Pauken …
Sie tat mir fast leid. Ich selbst beherrschte nicht mal mehr die Dreisatzrechnung, und was schadete mir das?
Spätabends kam auch Volker an und lieferte beim Biertrinken im Wohnzimmer eine Probe seiner Geisteskraft, indem er sich für eine radikale Vereinfachung der Dudenregeln aussprach. Auf den Müll, so unser Maschinenbaustudent, gehörten vor allem die Kommas.
Das wäre was geworden, wenn die Ingenieure sich dazu ermächtigt hätten, die deutsche Rechtschreibung zu reformieren!
Mama wünschte mich zum Kuckuck, weil ich mich nicht genauestens in den Wohngemeinschaftsküchenschränken umgesehen hatte und ihr daher kein Bestandsverzeichnis präsentieren konnte. Nur mit Mühe brachte ich sie davon ab, in Bielefeld anzuklingeln und sich die fehlenden Informationen von Bärbel oder Edith durchgeben zu lassen. Als wir am Samstagvormittag Besorgungen für meinen Haushalt machten, fing sie immer wieder neu zu schimpfen an: »Wenn ich dir ’ne teure Pfanne kaufe, und ihr habt da schon eine, dann wäre das ja auch ’ne Geldausgabe für die Katz! Und stop mal, hier, die Schüsseln gibt’s im Sonderangebot! Aber über eure Schüsseln kannst du mir natürlich auch nichts sagen! Und wie soll ich nun dahinterkommen, ob ihr da ’ne Thermoskanne habt? Oder was du an Kochtöpfen brauchst? Und was an Eßgeschirr? An Messern und Gabeln beispielsweise? Wenigstens in die Besteckschublade hättest du ja mal kucken können!«
Wie ein Rezitativ in ’ner komischen Oper.
Die größte Kostbarkeit für meinen Hausstand war unser alter Römertopf. Den sollte man wässern, bevor man was darin briet.
Ich packte dann auch meine Bücher und das Radio ein und baute die Regale ab. Auf den Plattenspieler verzichtete ich; der war mir zu brasselig.
Aus Bruderliebe erklärte Volker sich dazu bereit, am Sonntag bis Bielefeld hinter Mama und mir herzufahren und die Regale in meinem neuen Zimmer anzubringen. Dafür mußten sie aber erst mit Folie umwickelt und auf Mamas Dachgepäckträger festgezurrt werden, genau wie mein Fahrrad – eine Aufgabe, deren Erledigung Papa sich von niemandem nehmen ließ.
Bei alledem stand Wiebke mal wieder gründlich im Wege. Die würde sich noch umschauen, nach meinem Auszug, so alleine mit Mama und Papa! Die letzte Mohikanerin.
Den fiesesten Streckenteil bildete die B 68 ab der Gemeinde Hilter: Kilometer für Kilometer eine einzige lang ausgewalzte Albtraumkulisse, bestehend aus Straßenteer, Tankstellen, Verkehrszeichen, Frittenbuden, Überholverboten, Fahrbahnmarkierungen, Teppichhäusern, Autohäusern, Reparaturwerkstätten, rollendem Blech und pottscheußlich verklinkerten Wohnsiedlungsbunkern. Ein riesiges breitgemantschtes Chicago auf ostwestfälisch.
Volker hatte Papas Bohrmaschine mitgenommen und beackerte die eine Wand in meinem Zimmer. Für die Installation der Regale war das leider unerläßlich. Den Höllenlärm, der damit einherging, konnte ich aber nicht gut vertragen, und ich floh vor dem satanischen Gebohre zu den Autos, Kartons hochtragen.
Mama katalogisierte währenddessen die Küchensachen.
Bärbel und Edith waren nicht da. Frau Kruse kam jedoch an und verwickelte Mama in ein Fachgespräch über Mutterglück und Mutterleid. Wie es so sei mit mehreren Kindern, die ja auch allmählich größer würden und trotzdem längst noch nicht auf eigenen Füßen stünden …
Von den Kruses wollte ich allerdings als erwachsener Mieter betrachtet werden und nicht als Kind.
Mit Mama fuhr ich dann noch nach Sennestadt. Tante Gertrud trug eine Rindfleischsuppe auf, und Oma Schlosser stiftete mir einen alten Sessel, den sie nicht mehr gebrauchen konnte, weil er Gift für ihr Kreuz war.
Auch Mama hatte es mit dem Rücken. Ob das vom vielen Autofahren kam? Oder war das psychosomatisch?
So gegen fünfe stand ich dann allein in meinem kleinen Reich und hielt Heerschau.
Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen …
Als erstes mußte der beim Bohren entstandene Dreck verschwinden. Der Staubsauger stand im
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