Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
mehr. Es ist heute fast auf den Tag genau zwanzig Jahre her, daß ich Dich mit aus der Taufe gehoben und gleichzeitig mein Studium in Höxter begonnen habe. Da kann man glatt ins Sinnieren kommen, aber vorher höre ich mit dem Brief auf und wünsche Dir alles Gute …
Was gab’s denn über Höxter zu sinnieren?
Auf der Bahnfahrt nach Meppen las ich den Grass. 1969 hatte er sich gegen die Fortsetzung der Großen Koalition ausgesprochen:
Das heißt: ich setze mich für die begrenzte Möglichkeit einer SPD / FDP -Regierung ein, obgleich ich weiß, daß es schwerfallen wird, mit den Freidemokraten in Sachen Sozialpolitik zusammenzuarbeiten.
Das hörte sich so an, als hätte er selbst gern am Kabinettstisch gesessen. Günter Grass, die Ein-Mann-Nebenregierung. Bei einer anderen Gelegenheit war er mit dem DGB ins Gericht gegangen:
Das Klagelied über den »Bild«-Zeitung lesenden Arbeiter klingt mir gratis und überheblich, solange es die bundesdeutschen Gewerkschaften nicht verstehen, mit Hilfe fachkundiger Journalisten oder, noch deutlicher gesagt, mit Hilfen von Leuten, die gleichzeitig informierend und unterhaltsam schreiben können, jene Zeitung in Großauflage auf den Markt zu bringen, die endlich die »Bild«-Zeitung und ähnliche Produkte außer Kurs setzt.
Also eine linke Bild -Zeitung. Aber wenn die von den Massen gekauft werden sollte, mußte doch die gleiche Scheiße drinstehen wie im Original – Fachkundiges über Meuchelmorde, Seitensprünge, Ufos, Kannibalismus und Harald Juhnkes Saufgeschichten.
Mama schimpfte über meine Schuhe. Wie die aussähen! Vollkommen abgelatscht und ausgetreten! »Morgen kaufen wir dir neue! Keine Widerrede!«
Im Wohnzimmerregal lag eine veraltete Urlaubskarte von Tante Therese: Sunset at Grand Canyon.
Es ist kalt, aber mir geht’s prima!
Franziska hatte eine Zwei im zwoten Staatsexamen. »Davon kann sie sich als Arbeitslose aber auch nichts kaufen«, sagte Papa.
Außerdemstens hatte sich Mama, wie aus einer Quittung hervorging, einen kleinen Auffahrunfall geleistet. Neue Stoßstange eingesetzt und ein »Seitenteil« ausgebaut und lackiert: 181 Eier. Ein teures Vergnügen, die Autofahrerei.
Am Samstagvormittag nahm Mama mich mit zu Leffers, Schuhe anprobieren. Ich hätte gern das erste beste Paar genommen, doch das zwickte an den Zehen, und das zweite war zu schmal.
Das dritte paßte.
»Müssen das denn immer schwarze Halbschuhe sein?« fragte Mama.
»Ja.«
»Du bist genau wie dein Vater. Der wehrt sich ebenfalls mit Händen und Füßen gegen jede noch so kleine Abwechslung in seiner Garderobe …«
Wieso hatte Mama dann nicht einen Dressman geheiratet?
Die holzigen Spargelstangen, die es zu Mittag gab, hätte man zur Not auch zu Blockflöten weiterverarbeiten können.
Gleich nach dem Essen fuhr ich mit Mama nach Jever. Kilometerstand beim Start: 13 013. Wenn das man kein Unglück brachte.
Oma Jever jammerte über ihr entzündetes Bein, und vor noch gar nicht so langer Zeit hatte sie eine Herzattacke erlitten. Für die Passage zum Friedhof nahmen wir daher den Polo, während Gustav lieber radiohören wollte. Konferenzschaltung! Ich hätte nicht mal gewußt, ob Gladbach noch in der ersten Liga spielte.
In die obere Mühlenstraßenwohnung war eine Familie namens Böger eingezogen, mit einem dauerschreienden Baby an Bord, und Gustav sagte, Kinder solle man sehen, aber nicht hören.
»Und wie geht’s Fritz Levy?«
»Den Umständen entsprechend gut.«
Und ausgerechnet Arminia Bielefeld hatte Gladbach 5:0 geschlagen.
Oma ärgerte sich, weil ihr der Name eines CSU -Politikers nicht einfiel, der im Fernsehen interviewt wurde. »Der Name liegt mir auf der Zunge«, sagte sie. »Er hat drei Silben, und die erste wird betont. Háppappa – gleich komm ich drauf! Das ist der – na! – der Dollinger! Werner Dollinger!«
In der CSU hatten sie fast alle so knollige Namen: Heubl, Höcherl, Goppel, Stoiber, Spranger, Tandler, Abelein und Hans Graf Huyn.
Und damit zurück in die Altentagesstätte.
Den Schnee-, Schnee-, Schnee-, Schneewalzer tanzen wir …
Und auf vielfachen Wunsch:
Wenn der Frühling kommt,
dann schick ich dir
Tulpen aus Amsterdam …
Die Diabetiker süßten ihren Kaffee mit Assugrin.
In der Zeitschrift Pardon forderte der Redakteur Horst Tomayer einen genscherfreien Wochentag, an dem keine Zeile, keine Nachricht, kein Kommentar, kein Hudel und keine Verarsche über Hans-Dietrich Genscher erscheinen dürfe. Eine saugute Initiative. Leider
Weitere Kostenlose Bücher