Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Lust, das Ding einfach wegzuschmeißen.
Bärbels altes Zimmer war nicht wiederzuerkennen – keine Plüschtiere und keine Kuschelkissen mehr und dafür eine durchgängig männliche Note, die sich in Stahlregalen, unordentlichen Papierhaufen und einem Faible für kubistische Gemälde äußerte. Mit seiner langhaarigen blonden Freundin, die wie ein französisches Mannequin aussah, spielte Eberhard vierhändig Klavier, und dann kochten die beiden sich Tee.
Nach vier Stunden an der Adrema schwirrte mir der Kopf. Hätte es doch wenigstens nur Nachnamen wie Meier, Krüger und Lehmann gegeben! Nein, die Leute mußten unbedingt Przygomsky heißen oder Ikonomopoulos oder Znaniecki, so daß man dreizehnmal nachkucken mußte, um sich nicht zu vertippen.
Am Freitagnachmittag trampte ich mit Heike nach Hannover. Tante Dagmar hatte ihr Wohnzimmer für uns hergerichtet und trug im Eßzimmer eine italienische Nudelangelegenheit auf, Canneloni, und dazu Rotwein bzw. Jever Pilsener.
Mit dem Feldtelefon hätten wir Volker nach unten rufen können, doch der ging nicht ran.
Morgen sei bei ihr »Großkampftag«, sagte Tante Dagmar. Ausmisten sämtlicher Schränke. Wir könnten ja solange über den Flohmarkt ziehen.
Machten wir. Für Heike sprang dabei ein Salatbesteck heraus, und ich erraffte zwei alte Disney-Taschenbücher »Hallo … hier Micky!« und »Micky ist der Größte«. Die hatte ich seit Urzeiten nicht mehr wiedergelesen. Während Heike sich noch nach einer Salatschüssel umsah, stellte ich fest, daß der Hund Pluto eine frappierende Ähnlichkeit mit Volker hatte, von der Mimik bis zum Körperbau.
In einer der Geschichten wurde Micky von seinem Helfer Atömchen mit Gedächtnisstrahlen in die frühe Kindheit zurückversetzt und sah sich wieder in der Wiege am offenen Fenster liegen. Mußte schön sein – nichts zu wissen von Liebeskummer, Hautkrebs, Erdgasröhrengeschäften, Mittelstreckenraketen, staatlichen Ausgabenkürzungen und dem Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd und dem Kalten Krieg zwischen Ost und West, sondern selig und sorgenfrei in der Wiege zu liegen. Doch dann hatte man wahrscheinlich Blähungen und Halsweh und eine vollgeschissene Windel.
Tante Dagmar las uns abends einen alten Brief von Onkel Walter vor. Mai 1959: Da war er im »gehobenen Postdienst« gerade zum Beamten auf Probe ernannt worden.
Ich werde mir jetzt als erstes String-Regale für meine Bücher anschaffen.
Also auch er!
Vielleicht kennst Du diese schwedischen Regale, sie sind ziemlich teuer, aber sehr praktisch und sehen gut aus. Das System besteht aus eisernen schwarzen Leitern, auf die man in verschiedenen Höhen rötlichbraune Teakholzbretter legt. Sobald ich sie gekauft und angebracht habe, fotografiere ich sie und übersende Dir ein Foto.
Auf ein Foto der Regale von Onkel Walter war Tante Dagmar als junge Deern bestimmt ganz wild gewesen.
»Ach, was glaubt ihr, was ich damals für Vorstellungen gehabt habe«, sagte sie. »Blauäugig, wie ich war! Wenn sich einer zum Beispiel hat scheiden lassen, dann hab ich den als moralisch verkommenes Subjekt angesehen!«
Um Mitternacht gingen Heike und ich noch einmal raus. Zum Rauchen setzten wir uns auf eine Bank am Georgsplatz, und da quatschte uns ein betrunkener Penner an: Ob wir mal zweitausend Mark für ihn hätten.
Wir verneinten.
Dann müsse er sich aufhängen, sagte er und ließ sich keuchend neben uns nieder, wobei er zu weinen anfing und seine Misere beschrieb: Ehefrau weggelaufen, Job verloren, Hausbesitz gepfändet, Konto überzogen. Mit zweitausend Mark wäre er gerettet, doch die gebe ihm natürlich keiner. Und daher werde er sich nun aufhängen müssen.
Ich riet ihm, die Telefonseelsorge anzurufen, und da lachte er höhnisch auf. Was ich denn für einer sei? »Vonne Heilsarmee odda watt?«
Mehr als Petting wäre auf dem zum Bett umgebauten Sofa aus Gründen der Diskretion nicht vertretbar gewesen. Richtig ungehemmt hätte man sich wohl nur in den eigenen vier Wänden ausleben können, also auch nicht in ’ner Wohngemeinschaft. Oder man war so abgebrüht, daß einen die Ohrenzeugen nicht störten.
Als Ausgangsbasis für die Rückfahrt wählten wir die Autobahnauffahrt Langenhagen. Um die Ecke lag der Stadtteil Vahrenheide, wo ich meine ersten beiden Lebensjahre verbracht hatte.
It’s been a long long long time …
Ob sich Mama in Hannover-Vahrenheide aber wohler gefühlt hatte als in Meppen? Oder als im Rheinland?
Bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen holte
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