Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
den Abend in einer Discothek ausklingen zu lassen, wo ein Fläschchen Bier 4,50 DM kostete.
»Hier bedient Sie Mister Nepp«, sagte Hermann.
Auf Sockeln am Rand der Tanzfläche standen unförmige Frauenbüsten aus Gips oder Pappmaché, und an menschlichen Lebewesen hielten sich außer uns nur ein paar halbstarke Flipperspieler in dem Laden auf.
Als Kontrastprogramm verschrieben wir uns einen Ausflug nach München, mit der Bahn, wobei ich mir endlich den Brinkmann vornahm. Im Herbst 1972 war er von Köln nach Rom gefahren und hatte in der Künstlervilla Massimo ein mehrmonatiges Stipendium abgesessen.
An den anderen Stipendiaten ließ er kaum ein gutes Haar:
Sie unterscheiden sich überhaupt nicht von jenen Leuten, die am Sonntag achtlos auf die Bürgersteige mit ihren Stinkwagen parken und grob die Wagentür öffnen, ohne zu sehen, ob nicht gerade jemand dort geht.
Die Grammatikfehler, die es hin und wieder gab, waren aus Brinkmanns Briefen ins Buch übernommen worden.
… eklig das ungenierte Sack-Kratzen auf der Straße von ondulierten Herren und Todesmelodie-Pop-Slum-Jungen großstädtischen Verschnitts, jucken und kratzen sich und verschieben ihre Schwengel in den zu engen Hosen … rotgesichtiges fleischerhaftes Glotzen aus Touristenbussen, Busse vollgestopft mit deutschen Rentnern …
Ja, gut so! dachte ich. Gib’s ihnen!
Ich sah, wie sich mittags auf dem Rasen unter der italienischen Sonne eine fette deutsche Mutter-Kuh wälzte. Genügt nicht allein so ein Anblick, die ganze Umgebung zu diffamieren?
Statt aber immer nur zu schimpfen, hatte Brinkmann sich auch ausgemalt, was er als Erbe der päpstlichen Kunstsammlung getan hätte:
Ein Bild würde ich hübsch teuer verscheuern und dann könnte ich endlich für mich leben, in einer Gegend mit Heide, Moor, wildem nordeuropäischen Oktoberlicht, ohne viel andere menschliche Anwesenheit.
Meppen, Rütenbrock oder Hebelermeer als Zufluchtsort? Eine seltsame Vorstellung.
»Ich finde, München ist genauso häßlich wie alle anderen Großstädte«, sagte Hermann, nachdem wir den Bahnhofsvorplatz, den Karlsplatz, die Frauenkirche und den Marienplatz gesehen hatten.
Wir erwarben ein paar Lebensmittel und eine große Flasche Doornkaat und quatschten uns dann bei einigen Stadtstreichern fest, die ein offenes Kolloquium über ihre Fernreisen abhielten. Einer wollte schon mal am Nordkap gewesen sein und ein anderer im Jemen und in Belutschistan. Sie wußten aber immerhin genau, wann ein bestimmtes Café schloß, auf dessen draußen angekettete Stühle man sich dann setzen konnte. Die nahmen wir mit allen Mann in Beschlag, und es kreisten die Fuselflaschen.
Zwischendurch kreuzte ein hibbeliger junger Stenz auf und versuchte Hermann und mich abzuwerben: Wir sollten auf ’ne super-duper-geile Party mitkommen, bei der unheimlich die Post abgehe …
Auf die Frage, weshalb er denn nicht selbst auf dieser Party sei, erteilte er uns keine klare Antwort. Er stammelte irgendwas von unaufschiebbaren Terminen und suchte sein Heil in der Flucht.
There was a certain lack of communication.
Wir harrten bis zum Morgengrauen bei den Pennern aus. Dann traten wir mit dem öffentlichen Nahverkehr den Rückzug aus der Landeshauptstadt an und versuchten unser Glück an einer nach Süden führenden Autobahnauffahrt. Zwei übernächtigte, ungewaschene und aufgedunsene Herumtreiber ohne bestimmtes Reiseziel – wer würde sich ihrer erbarmen?
Schicksalsgunst: Bereits nach fünf Minuten saßen wir in einem fetten Ford, der uns bis zu einem Rastplatz auf der Höhe von Salzburg brachte. Dort sanken wir ins Gras. Hermann hatte noch Treets und Bananen, und nach dem Futtern streckten wir uns aus.
Ein Wetter wie zum Eierlegen. Blauer Himmel, warme Sonne, linde Lüfte. Und die Welt stand uns offen. Zumindest die halbe, diesseits des Eisernen Vorhangs. Beziehungsweise der innerhalb der Urlaubszeit erreichbare Teil dieser halben Welt …
Als ich mir dann mal die Füße vertrat und einen Mercedes nahen sah, hielt ich probehalber den Daumen raus – und schon hatten wir die nächste Fuhre. Diesmal bis Wien. Ich mußte Hermann richtig aus dem Schlaf rütteln deswegen.
In Wien tauschten wir Geld um und besorgten uns Milch, Bier, Brötchen, Schinken, Butterkäse, Äpfel, Tomaten, geräucherte Hähnchenschenkel, Schokoladenröllchen, Paprikachips und Pistazienkerne. Damit ließen wir uns zu einer Jause auf dem Rasenstreifen zwischen zwei Fahrbahnen nieder.
»Deliziös!« rief Hermann kauend
Weitere Kostenlose Bücher