Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Ungeheuer«. Noch Fragen?
4:5.
Wir waren im Endspiel.
Der Stephansdom, die Karlskirche und das Schloß Schönbrunn konnten Hermann und mich nicht locken. Wir zogen eine Achterbahnfahrt auf dem Prater vor. Mit Looping! One of the most dangerous events in the life of the crazy travellin’ Beer Brothers.
Von Wien aus wandten wir uns der Steiermark zu und verbrachten den Nachmittag mit einem alternativen Alm-Öhi, der uns zu seiner Schafherde mitnahm. Er hatte einen stillen, dicklichen, etwas abseits auf einem Grashügel sitzenden Gehilfen, von dem er sagte, daß er ein »Aussteiger« sei, der über vieles nachzudenken habe und einen »Prozeß der Selbstfindung« durchlaufe.
Schafe hüten und dabei sich selber finden? Na, bei Leuten, die von allen anderen gemieden wurden, war es ja ganz praktisch, wenn wenigstens sie selber sich fanden. Dann waren sie nicht mehr so allein.
Mit Mister Nepp hätten wir ja schon Bekanntschaft geschlossen, sagte Hermann, als wir wieder an der Straße standen. Jetzt würde er gern Monsieur Bonnechance kennenlernen.
Dieser Wunsch erfüllte sich sofort: In Gestalt eines großherzigen und seelenvergnügten Mittdreißigers las Monsieur Bonnechance uns auf, lud uns in seinen Bungalow ein, flitzte mit einem Henkelkorb aus dem Haus, um Einkäufe zu machen, kehrte schwerbeladen wieder, goß uns Bier ein, briet uns Spiegeleier, wollte alles übers Emsland wissen, schenkte auch noch selbstgebrannten Birnenschnaps aus, verteilte uns auf zwei Gästezimmer, fuhr am Morgen ein opulentes Frühstück auf und brachte uns anschließend zu einer zehn Kilometer entfernten, fürs Trampen superb geeigneten Haltebucht.
Und er war uns nicht an die Wäsche gegangen.
Der nächste grundgütige Österreicher, der uns weiterbeförderte, hieß Herbert. In dem Liedgut, das er auf Kassetten hatte, herrschten thematisch Madln, Buam und Lederhosen vor, und immer, wenn gejodelt wurde, jodelte er mit. Sein Ziel war der Längssee in Kärnten, wo er surfen wollte, und wir durften auch mal auf sein Surfboard steigen.
Es fiel mir schwer, beim Aufrichten des Segels das Gleichgewicht zu halten. Ich plumpste jedesmal ins Wasser.
Hermann kriegte das besser hin, doch er konnte nicht wenden. Mit dem Wind glitt er in tadelloser Haltung auf den Horizont zu, und der arme Herbert mußte auf seiner Luftmatratze hinpaddeln, um das Surfboard zurückzuholen.
Wir kampierten wieder im Wald und setzten uns abends zum WM -Finale in ein Restaurant, auf dessen Parkplatz schön viele Autos mit deutschen Kennzeichen standen. Da würde es im Falle eines Sieges Lokalrunden hageln.
Dachten wir. Aber mehr als einen Ehrentreffer zum 1:3 ließ unser Endspielgegner Italien nicht rein. Und in der 89. Minute wechselte der italienische Trainer nochmal aus – eine gemeine, miese, unsportliche und verdammenswerte Zeitschinderei, diese Auswechslungen kurz vorm Abpfiff! Konnte da die FIFA nicht mal Remedur schaffen?
Die Italiener hätten den Sieg verdient, sagte Hermann zu einer Frau, die bei uns am Tisch saß, und das war auch nicht eben dazu angetan, meine Stimmung zu heben.
Wohin weiter? Nach Italien? Einen Tag zu spät? Als Deutsche wären wir dort nach dem Endspiel doch wahrscheinlich von allen ans Herz gedrückt und auf Händen getragen worden …
Bis zur Grenze kamen wir zügig voran. Das mußte man den Österreichern lassen: Sie waren ein tramperfreundliches Volk. Sobald wir jedoch italienischen Boden betreten hatten, ging überhaupt nichts mehr. Es rollte eine mordsmäßige Blechlawine an uns vorüber, kontinuierlich, Stunde um Stunde, und es gab auch reichlich Platz zum Halten, aber niemand scherte sich um uns.
They hurt you at home and they hit you at school,
They hate you if you’re clever and they despise a fool,
Till you’re so fucking crazy you can’t follow their rules …
Hermann meinte, daß Monsieur Bonnechance eine Persönlichkeitsspaltung erlitten habe und die Lande jetzt als Signor Frustrazione bereise. »Dieser Monsieur hat viele Gesichter …«
Wir hatten schon steife Beine vom langen Stehen, und weil uns keine andere Möglichkeit mehr offenstand, stiebelten wir zum nächsten Bahnhof, tauschten unterwegs wieder Geld um und nahmen einen Zug, der nach Venedig fuhr.
Da saßen wir gerade erst drin, als sich ein außerordentlich mitteilsamer Italiener in unser Abteil drängte und mit Händen und Füßen auf uns einzureden begann. Wir versuchten ihm gestisch und mimisch sowie auf deutsch, auf englisch und auf französisch
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