Alle Vögel fliegen hoch
Seite und machte mich auf den Heimweg. Sehr deutlich spürte ich die geladenen Blicke des Opas in meinem Rücken. Flipper erlaubte sich einen kleinen Schlenker Richtung Hecke.
»Fuß!«
Er blieb stehen und schaute mich an. Wedelte leicht. Und lief weiter in Richtung Hecke und wurde schneller und steckte seinen Kopf ins Gestrüpp und schnupperte neugierig und nahm mit angehobener Pfote Platz wie ein erfolgreich vorstehender English Setter.
»Was ist denn da schon wieder... Da schau her! So was haben wir doch schon einmal gesehen!« Ich betrachtete seine Entdeckung. »Das ist ja interessant«, sagte ich, ohne genau zu wissen, warum. Oder doch? Immerhin hatte mein schwarzer Riese einen guten Grund aufgestöbert, den Kommissar anzurufen. Rein dienstlich. Das würde ich später machen. Heute Abend nach meinem Unterricht. Privat.
21
Ich sah es schon von weitem. Und glaubte es nicht. Aber mein Herz schlug schneller. Bestimmt hatte er sich hingelegt. Obwohl er sich sonst nie hinlegte. Er wartete meistens in Habt-Acht-Stellung, besonders, wenn die Heckklappe offen stand. Ich rannte über die Franzstraße zu meinem auf dem Trottoir geparkten Auto. Ich starrte durch die Fenster. Ich lief zum Fond und starrte auf die Decke. Ich kontrollierte sogar den Fußraum von Fahrer- und Beifahrersitz – als hätte er dort genügend Platz. Mein Herz schlug Stakkato. Ich bekam kaum Luft. Mein Gehirn war zu klein, um das Große zu begreifen, das hier geschehen war. Nicht geschehen sein konnte. Und durfte. Und weil mein Gehirn viel zu klein war, glaubte ich zu träumen, so wie damals, als er die Finger unterm Hochsitz angebellt hatte, die auch nicht hatten sein können. Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Stand vor meinem Volvo und starrte. Drei Sekunden? Drei Minuten? Zehn? Ich ging in die Hocke und schaute unter das Auto. Dann rief ich, »Flipper!« Bei den ersten Malen kam ich mir noch albern vor, doch mit jedem Rufen erreichte die Not tiefere Schichten meines Körpers, meiner Seele, und ich schrie immer lauter und rannte auf und ab. Garagen? Wenn er aus unerfindlichen Gründen in eine Garage gelaufen und eingesperrt worden war! Ich lief die ganze Straße einmal
rauf und runter und stand mit Herzklopfen an der Leopoldstraße, wo kein rotweißer Fellklumpen auf dem Asphalt klebte. Gottseidank! Ich begann Passanten zu befragen. Zuerst wahllos, dann mit Verstand: die Zeitungs-, Rosen-, Eis-und Losverkäufer und die Rikschafahrer. Wie hatte ich so dumm und blöd und hirnlos und idiotisch sein können, die Heckklappe meines Autos offen zu lassen?
»Er würde niemals aussteigen!«, rief ich eine halbe Stunde später mit tränenerstickter Stimme ins Telefon. »Nein, auch nicht, wenn ihn jemand lockt. Er würde niemals Futter annehmen! «
Andrea war in Frankfurt bei einem Seminar. Sie würde erst am Donnerstag wieder in München sein. »Franza, ich kann mich sofort in einen Zug setzen.«
»Danke, aber was willst du schon tun? Wahrscheinlich ist er längst zu Hause«, versuchte ich optimistisch zu klingen. Sicher, er kannte den Weg. Doch würde er immer schön rechts laufen? Die Leopold entlang und dann zum Altstadtring, hoffentlich nicht durch den Tunnel, übers Isartor, das waren gefährliche Verkehrsknotenpunkte.
Kein Flipper erwartete mich zu Hause. Ich schleppte mich in meine Wohnung. Wenn er verletzt war… Wenn ihn versehentlich jemand eingesperrt hatte… Wieso war er aus dem Auto gesprungen? Nein, das würde er nicht tun, und selbst wenn, dann würde er nicht weglaufen, sondern neben dem Auto auf mich warten.
»Dafür lege ich die Hand ins Feuer«, sagte ich am Telefon zu der Dame vom Tierheim.
»Natürlich«, erwiderte sie.
»Und jetzt?«, schluchzte ich.
»Bleiben Sie ganz ruhig. Rufen Sie morgen wieder an. Dann ist jemand von der Fundstelle da. Sie sind hier bei der Bereitschaft. Es ist ja schon Nacht.«
»Es ist noch hell!«, rief ich.
»Haben Sie die Polizei verständigt?«
»Nein! Daran habe ich überhaupt nicht gedacht! Ich bin doch selbst schuld, ich habe mein Auto nicht abgesperrt! «
»Sie sollten das anzeigen. Und dann versuchen Sie sich zu beruhigen. Jetzt können Sie gar nichts tun, außer zu warten. Deshalb sollten Sie auch unbedingt mit der Polizei sprechen. Wenn die ihn findet, liefert sie ihn hier ab. Die Polizei hat einen eigenen Schlüssel und kann immer rein. Er wird dann auf die Quarantänestation gebracht und morgen regulär aufgenommen.«
Irgendwie klang das alles so, als wäre Flipper schon
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