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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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da. Als würde er in irgendeinem Zug oder Flieger sitzen, der morgen früh im Tierheim landen würde.
    »Ist denn das sicher, ich meine … Kommen alle vermissten Hunde zu Ihnen?«
    »So gut wie alle«, tröstete mich die Dame. »Früher oder später tauchen sie schon auf.«
     
    »Ich gebe es an die Kollegen weiter«, sagte der Schwabinger Polizeibeamte. »Schwarz sagen Sie und groß. Und hoffentlich nicht bissig? Flipper. Wie Flipper. Lustiger Name. Gut, Frau Fischer. Ein blaues, ein braunes Auge. Ist notiert. Wir rufen Sie an, wenn wir ihn haben. Und morgen kommen Sie
zu uns aufs Revier. Weit kann er ja nicht sein, wenn er so brav ist, wie Sie sagen.«
    »Er folgt aufs Wort.«
    »Vielleicht hat ihn eine Hundedame becirct, und er ist bei einem Rendezvous im Englischen Garten. Ist ja eine schöne laue Nacht.«
    »Bitte können Sie es auch den anderen Polizeistationen melden«, bat ich.
    »Also eine Fahndung kann ich nicht rausgeben«, sagte der Polizist, »aber ich leite es weiter. Bestimmt finden Sie Ihren Flipper bald im Tierheim. Wir bringen alle aufgefundenen Hunde und Katzen dorthin.«
     
    »Ich glaube, die Polizei unternimmt gar nichts«, weinte ich weit nach Mitternacht in Andreas Ohr.
    »Er kommt sicher zurück. Oder jemand gibt ihn im Tierheim ab«, tröstete sie mich. »Er ist doch so ein lieber Kerl, das merkt man auf Anhieb, den traut man sich anzuleinen und abzuliefern, der knurrt nicht, wenn man auf ihn zugeht. «
    »So ein lieber Kerl«, schluchzte ich.
    »Ja«, sagte Andrea sanft.
    »Er ist gechipt und bei Tasso gemeldet, und zusätzlich trägt er eine Kapsel mit meiner Adresse und Telefonnummer, wenn ihn jemand zurückbringen will, dann ist das ganz einfach! «
    »Vielleicht hat ihn noch niemand gefunden. Vielleicht ist er wirklich abgehauen.«
    »Das hat er noch nie gemacht!«
    »Irgendwann ist immer ein erstes Mal.«

    »Ich habe mich wenig um ihn gekümmert in den letzten zwei Wochen.«
    »Vielleicht braucht er mehr Aufmerksamkeit? Vielleicht ist dieser Ausbruch ein Symptom …«
    »Andrea! Jetzt hör auf! Du willst doch wohl nicht an Flipper herumtherapieren!«
    »Morgen ist er wieder da. Bei dir oder im Tierheim. Bestimmt. Versuch jetzt zu schlafen.«
    »Ja, mach ich«, sagte ich. Aber ich wusste, dass ich nicht schlafen würde. Wie denn? Ohne ihn. Die Wohnung fühlte sich kalt an. Einsam. Wo ich hinschaute, schrien mich seine Hinterlassenschaften an. Sein Korb. Seine Decke. Sein Kauknochen. Das angeknabberte Stuhlbein, der einzige Fauxpas, den er sich in seiner Welpenzeit geleistet hatte. Der Wassernapf, den ich ihm zum zweiten Findeltag geschenkt hatte, die Leine, der Ball. Seit drei Jahren Tag und Nacht an meiner Seite. Miteinander verwachsen. Glück war so simpel. Einfach mit Flipper zusammen sein. Ihm beim Schlafen zusehen. Wie seine Pfoten zuckten, und manchmal, wenn seine Rute über das Parkett wischte. Dann träumte er vielleicht von mir.
     
    Als ich aufwachte, lag ich neben seinem Korb, den Kopf auf sein Kissen gebettet. Fünf Uhr, graues Licht. Niemand, der mich schwanzwedelnd begrüßte. Niemand, der mir sein Halsband brachte. Kein Tock, Tock, Tock. Gar nichts. Stille. Irgendwo das Rauschen einer Toilettenspülung. Und Vogelstimmen. Und wenn er vor dem Tor auf mich wartete? Ich schnappte mir meinen Schlüssel und lief ins Freie. Ein roter Streifen am Himmel. Wenig Verkehr. Ein Kaminkehrer auf
dem Fahrrad. Bringt Glück , schoss es mir durch den Kopf. Ich pfiff meinen schrillsten Flipperpfiff. Ich rannte zur Isar. Dort traute ich mich hemmungslos zu rufen; ich würde höchstens die Obdachlosen unter der Brücke wecken. »Flipper!« Ich rief, bis ich heiser war. Die Stadt war so groß. Und ich so allein. Ich war viel zu allein für die Stadt. Allmählich setzte der Berufsverkehr ein. Alle wollten irgendwohin. Für die anderen war dies ein normaler Dienstagmorgen. Für mich ein Alptraum.
     
    Ich lief zurück zu meiner Wohnung. Kein Flipper. Ich lief wieder zur Isar, weil das Warten dort leichter war. Ich sprach sie alle an, die Hundebesitzer, die Jogger; ich stellte mich Radfahrern in den Weg und fragte immer das Gleiche: »Haben Sie einen großen schwarzen Hund gesehen?« und wusste, dass das unsinnig war, wenn er in der Nähe wäre, würde er nach Hause finden, doch irgendwie tat es gut. Immer mehr Hunde bevölkerten die Isarauen, es gab auch viele schwarze, doch sie waren alle kleiner als Flipper oder anders. Keiner war Flipper.
    »Ja grüß Gott, Frau Fischer!«, begrüßte Frau

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