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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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hatte Daub’n oder Daum gesagt, der interessiert sich ollawei bloß für seine Daub’n und ich hatte mich saublöd angestellt, wie ein Saupreiß, Kruzifix!
     
    Ich folgte der Beschreibung von Emilias Mutter zum Riedhof und hatte keine Ahnung, was ich tun oder sagen sollte. Erst mal hinfahren. Irgendwas würde sich schon ergeben. Mit Flipper an meiner Seite ergab sich immer etwas. Ein paar Kilometer, bevor ich rechts zu Simon in meine hoffentlich neue Heimat abgebogen wäre, fuhr ich nach links und folgte der Straße bis zu dem grünen Wegweiser Riedhof und parkte. Bestimmt war es besser, als harmlose Spaziergängerin aufzukreuzen. Flipper fand das auch und beschnupperte die Umgebung begeistert wedelnd. Nervös ging ich eine staubtrockene Kiesstraße entlang, an deren rechter Seite ein Bächlein gluckste. Es gab Trauerweiden und natürlich Löwenzahn, Gänseblümchen und blaue und violette Blumen, deren Namen ich nicht kannte. In Kurven schlängelte sich der Weg in die Pampa. Erst nach der letzten Rechtskurve entdeckte ich das Anwesen. Ich hatte einen schmucken Bauernhof mit umlaufenden Balkonen, farbenprächtigen Geranien und ordentlich gestapeltem Holz an den Hauswänden erwartet. Stattdessen erblickte ich ein Gebäude aus den Fünfzigern, grau vertäfelt, schmucklos, eher trist denn
üppig. Auch an Fenstern hatte man hier gespart. Drei verschieden große Schuppen gehörten mit zu dem Anwesen. Im gepflasterten Hof parkte der schlammfarbene Mercedes von Rudi, den kannte ich bereits, und ein roter Kangoo. Ein silberner Opel kam mir auf dem letzten Wegstück entgegengerast. »Flipper!«, rief ich ihn zu mir und befahl »Sitz«. Der Weg war schmal. Und der Autofahrer ein Idiot, gefährlich dicht fuhr er an uns vorbei, und die Staubwolke, die er verursachte, reizte mich zum Husten. Eine Minute später wurde ich fast von einem schmutzigen gelben Postauto überfahren, das durch die letzte Kurve vor dem Anwesen peste, und kurz darauf wiederholte sich das Ganze in umgekehrter Richtung.
     
    »Allmählich sollte ich mir mal Gedanken machen, warum wir hier sind und so«, sagte ich zu Flipper, der beneidenswert unbeschwert Zeitung las. Ich war nun schon so nah, dass ich das C+M+B über der Haustür deutlich erkannte, das in Bayern von den Heiligen Drei Königen Anfang Januar als eine Art Zauberspruch mit Kreide an die Häuser geschrieben wird. Sarah! Ich sprang in Deckung hinter den ersten Schuppen. Sie weinte. Kam weinend in meine Richtung gelaufen. Hinter ihr eine pummelige Frau im Dirndl, wahrscheinlich ihre Mutter, mit bis hoch zum Doppelkinn synchron hopsenden Brüsten. »Sarah! Bleib stehen!«
    Sarah blieb nicht stehen. Sarah rannte weiter. »Ich will nicht, ich will nicht!«
    So was kann Flipper nicht ab. Mit drei, vier Sätzen war er bei Sarah, um ihre Tränen abzuschlecken. Da blieb mir
nichts anderes übrig, als ihm hinterherzuspurten. Sarah hatte ihren Schrei inzwischen an die Mutter übergeben. Sarah lachte und freute sich, die Mutter schrie. Wie am Spieß. Und dann rannte sie los Richtung Haus und ließ dabei ihre Tasche fallen. Allerlei Kleinkram kullerte über den Boden. Handy, Portemonnaie, Tempos, Lippenstift, Kalender. Und da tauchte auch noch der Opa auf. Jetzt waren wir alle versammelt. Aber nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Überhaupt nicht.
    Flipper stupste Sarah an, die ihn begeistert kraulte, die Mutter schrie, der Opa fluchte – und lief dann humpelnd zu seiner Tochter, wie ich annahm. Flipper entging das nicht. Er trabte zu Sarahs Mutter, die einen gellenden Schrei ausstieß, viel zu schrill für ihr gut gepolstertes Äußeres und die gnadenlos aufgehellten Locken.
    »Sauköter! Hau ab!«, brüllte der Opa und stürzte ins Haus, und mir schwante, worauf er abzielte.
    Auch Flipper hatte ein Ziel. Im Vorbeilaufen griff er sich zuerst das Handy …
    »Mein Handy!«
    … und legte es der nun schlotternden Frau vor die Füße. Flipper lief zurück, holte das Portemonnaie. Nach und nach apportierte er den gesamten Inhalt der Tasche und zum Schluss die Tasche selbst. Dann setzte er sich freundlich hechelnd neben Sarah und ließ sich knutschen.
    Es war still. Sehr still. Der Opa, mit einem Gewehr in der Hand – ich wollte das gar nicht sehen, wo war ich, im wilden Westen? – stand an der Haustür. Sarahs Mutter schluchzte und fasste sich an den Hals. Langsam ging ich auf sie zu. Meine Knie hatten sich in Gelee verwandelt. Bloß keine Angst
zeigen , war alles, was ich dachte, während ich das

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