Alle Vögel fliegen hoch
worden.
Alles, was ich wollte, war nach Hause. Deshalb war es unbegreiflich, warum ich in die andere Richtung fuhr. Zwar redete ich mir auf halbem Weg zum Hochsitz ein, Simon sagen zu wollen, dass ich ihm nicht böse sei, wenn er keinen Hund hatte, beziehungsweise weil er mir nicht gesagt hatte,
dass sein Hund a) gestorben, b) weggelaufen, c) gerade bei einem Freund zu Besuch sei, doch ich hatte keine Verabredung mit Simon, der eine Verabredung zum Autorennen mit einem Freund in Münsing hatte. Ich wusste nicht, ob ich ihn am Hochsitz treffen würde. Ich wollte wirklich nur heim, so lange die Zweieinhalbzimmerwohnung an der Isar noch Heimat bedeutete. Flipper hatte es aufgegeben, mich anzufunken. Resigniert trottete er neben mir her. Resigniert erklomm er die Leiter zum Hochsitz.
»Spinnst du!«, fuhr ich ihn an, als er sich mit einem dumpfen Laut neben mir fallen ließ. Ich hatte ihn beim letzten Mal kaum runtergebracht. Sollte ich diesmal zur Abwechslung die Feuerwehr rufen?
Flipper beachtete mich nicht. Und natürlich hatte er Recht. Wenn hier jemand nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte, dann ich, und das brauchte mich nicht zu wundern nach der Hausbesichtigung, die ich hinter mir hatte. Und warum musste ich eigentlich ständig und schon fast zwanghaft auf diesen Hochsitz klettern, das Zentrum meiner Albträume? Masochismus oder Konfrontationstherapie?
Ich bemerkte die Leute erst, als Flippers Nackenhaare sich sträubten, und da waren sie schon ziemlich nah. Flipper hatte gestreikt, und der Wind stand günstig für die anderen.
»Felix! Da ist wer! Hallo! Hallo, kommen Sie mal zu uns!«
Ich schaute runter, er schaute rauf. Dann drehte sich der Kommissar einfach weg.
Die Pferdeschwanzfrau funkelte mich böse an. »Polizei. Kommen Sie bitte auf den Boden.«
Ich dachte, dass ich jetzt nach ihrem Ausweis fragen sollte,
aber sie war viel zu weit weg, als dass ich etwas hätte entziffern können, und ich kannte den Kommissar ja schon, allerdings hatte er mir seinen Ausweis nicht gezeigt, eigentlich hatte mir niemand einen Ausweis gezeigt, der Ausweis waren die grünen Uniformen, zudem hatte ich selbst sie am Dienstag gerufen, da erübrigte sich das mit dem Ausweis.
»Das ist die Frau Fischer«, sagte der Kommissar jetzt.
»Wer?«
»Die Auffinderin des Toten«, er schmunzelte, »die Chefin von dem Hund, der den Toten gefunden hat.«
Mein Herz wurde ganz flüssig. Chefin hatte er gesagt. Das hatte er sich gemerkt!
»Ach, die Frau Fischer!«, sagte der Pferdeschwanz in einem Tonfall als wäre das nichts Besonderes, als wäre das die Frau, die sonntags immer die Wurstsemmeln bringt.
Ich nickte ihr trotzdem zu. Von oben nach unten.
»Ich bin Kriminalkommissarin Claudia von Dobbeler«, stellte sie sich vor. Ich schätzte sie auf mein Alter. Allerdings nicht trainiert. Dobbeler war ein Moppelchen, wie in ihrem Namen bereits angelegt. »Wir haben schon mal telefoniert. Ich habe Ihnen auf die Mailbox gesprochen. Ich hätte da noch ein paar Fragen. Kommen Sie jetzt bitte runter?«
Mir war schlecht und schwach und schwindlig. War das peinlich, verdammt, war das peinlich, so peinlich, peinlich, peinlich.
»Ich muss erst den Hund in Sicherheit bringen«, sagte ich, als wäre das ebenso einfach, wie eine Wurstsemmel belegen.
»Wenn er raufgekommen ist, wird er ja wohl auch runterkommen«, motzte Moppelchen und stemmte ihre Hände in die Seiten.
»Das ist schwierig«, half mir der Kommissar. Felix hieß er. Claudia hatte es mir verraten. Auf seiner Visitenkarte stand nur F. Ich hatte an Florian oder Friedrich gedacht. Felix war viel schöner. Felix Tixel. Zweimal X. Ein Feminist!
»Brauchen Sie Hilfe, Frau Fischer?«, fragte er mich.
Und ein Kavalier!
»Wieso kommt der Hund nicht runter, wenn er raufgeklettert ist?« Claudia bockte.
»Das ist kein Trick«, erklärte er ihr, »beziehungsweise hat der Hund den Trick schon geschafft, indem er hochgeklettert ist. Starke Leistung. Vielleicht würde er auch runterkommen, aber ein Hund ist keine Katze.«
Ich hätte heulen können. Er hatte Recht. Ein Hund ist keine Katze, und ich war keine Heldin. Meine Knie bestanden aus Gelee, und ich hasste mich, weil ich so schwach war. Der Kommissar war daran schuld. Wäre er nicht da, hätte der Abstieg kein Problem dargestellt. Kaum tauchte ein Kerl auf, rutschte ich weit unter meine Möglichkeiten.
»Kommen Sie jetzt mal runter?«, wiederholte Claudia stoisch.
»Lass sie«, nahm mich der Kommissar in Schutz und
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