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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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konnte mich nicht mehr beherrschen und brüllte einfach
los. In der Toilettenkabine hallte mein Lachen hohl und grässlich. Ich klang selbst wie eine Untote, und meine Schülerinnen versammelten sich im Waschraum, ich hörte sie aufgeregt flüstern zwischen meinen Lachsalven, was war denn das für ein Heiratsantrag! Aus Versehen drückte ich die Stimme des Kommissars absichtlich weg.
    Er gab mir zehn Minuten. Es beeindruckte mich, wie viel Lachpotenz er mir zutraute. In dieser Zeit war ich angezogen und auf dem Weg zu meinem Auto.
    »Also haben Sie keine Waffe, Frau Fischer?«
    »Ist Klaus Hase denn erschossen worden?«
    »Nein.«
    »Warum fragen Sie dann?«
    »Weil Sie keinen Waffenschein haben.«
    »Woher wissen Sie das?«
    Schweigen.
    Über dem Isartor ging ein halber Mond auf.
    »Und jetzt?«, fragte ich.
    »Leg ich auf«, sagte er.
    »Warum?«
    »Weil ich weiß, was ich wissen wollte.«
    »Glauben Sie mir denn?«
    »Wem denn sonst?«, fragte er und beendete das Gespräch.

7
    Es war verrückt, am frühen Nachmittag nach Wampertskirchen zu fahren, ich hatte nur fünf Stunden Zeit zwischen Bauch, Beine, Po und Body Attac , doch in München hätte ich keine Ruhe gefunden. Ich wollte mir das Haus noch einmal ansehen. Nur von außen.
    Ich fuhr direkt in den Hof der Widmanns und parkte dort, wo der BMW des Kommissars gestanden hatte. Wenn Felix Tixel jetzt käme, würde ich mich nicht verstecken. Ich würde die Karten offen auf den Tisch legen und Herrn Widmann gestehen, dass ich seinen Mieter tot gefunden hatte. Vielleicht würde Herr Widmann dann den Einbruch zugeben, und wir könnten noch mal von vorne anfangen.
    »Hallo? Yvonne?«
    Eine zirka vierzigjährige Frau im schwarzen Nadelstreifenhosenanzug kam aus meinem Haus. Ihre hellblond gefärbten Haare mit dunklen Strähnen waren zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden, der im Nacken in einen Rasierpinsel mündete. Sie trug Stöckelschuhe, und ich befürchtete, dass sie mir Löcher in meinen schönen Holzboden stanzte. Flipper übernahm die Regie, indem er die Frau dermaßen enthusiastisch begrüßte, als wären wir verabredet. So macht er es immer, wenn er mir Bedenkzeit verschaffen will. Während die Frau Flipper streichelte und abklopfte
und die üblichen Dinge sagte, die man fremden Hunden sagt – allerdings eher verhalten und monoton: »Na du, was bist du denn für einer, ja, du bist ja ein schöner Kerl …«, hatte ich Gelegenheit, sie als Angehörige von Klaus Hase einzuordnen – seine Frau? – und festzustellen, dass sie sehr traurig war. Das diagnostizierte Flipper ebenfalls und legte eine Extraschicht ein, warf sich sogar auf den Boden, wo er sich grunzend wälzte, bis die Frau endlich lächelte. Es war ein schiefes Lächeln, und sie sah überhaupt nicht froh aus, doch immerhin, Flipper hatte sie geknackt. Wir waren drin.
     
    »Ich wusste gar nicht, dass Sie einen Hund haben, davon hat Klaus mir nichts erzählt«, wandte sich die Frau nun mir zu. Die Trauer schwappte über sie hinweg mit der schweren schwarzen Wucht eines Wolkenbruchs. Flipper wedelte dagegen an. Ich streckte meine Hand aus.
    »Hallo«, sagte ich erst mal unverbindlich.
    Die Frau reichte mir ihre Hand. Kirschrot lackierte, lange Fingernägel. Sehr schmale Hände und sehr weich. Alles in allem sorgfältig gepflegt, nahm ich zu den Akten. Da packte sie meine Hand und zog sie an ihre Wange, zuckte zurück, es ging so schnell, dass ich mich fragte, ob ich mir das eingebildet hatte, besonders, weil sie mich danach distanziert förmlich begrüßte.
    »Schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Ich dachte zwar, Sie würden erst um drei kommen, aber das macht ja nichts, ich …, ich bin immer nur am Räumen und …«
    Flipper merkte es vor mir. Rasch stellte er sich neben die Frau, die leicht wankte und dann ein Tempotaschentuch
aus ihrem Jackenärmel zog, was mich anrührte, weil so ein nasses verheultes Tempo überhaupt nicht zu ihrem Erscheinungsbild passte. Und wer steckte das noch in den Ärmel! Meine Oma hatte das gemacht – mit einem Stofftaschentuch, und wenn sie einen anständigen Katarrh gehabt hatte, waren die Rotzspuren tagsüber an ihren Ellenbogen hinauf getrocknet und abends beim Fernsehen auf das samtbraune Sofakissen mit der umlaufenden Kordel gerieselt. Die Frau tupfte sich um die Augen. Sie sahen wund aus und rot. Die ganze Frau war eine weinende Wunde. Auffordernd schaute Flipper mich an. Sollte ich mich als Yvonne ausgeben? Und dann?
    »Wie gesagt«, begann die

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