Alle Vögel fliegen hoch
mir zu tun, dann hakte sie sich bei mir unter, und ich führte sie an Feldern voller blühender Scheiße entlang.
Sie atmete tief ein und aus und seufzte, »herrlich«.
Ich vermutete, sie hatte einer Patientin abgesagt und ihre Mittagspause geopfert, um mich zu treffen. Das sprach nicht gerade für sie. Therapeutinnen sollten ihren Helferkomplex professionalisiert haben. Flipper rempelte mich an. Ich entschuldigte mich in Gedanken. Ja, es gab noch was anderes. Zuneigung und Liebe und so ’n Zeug.
»Wie heißt er?«, fragte Andrea mich.
Abrupt blieb ich stehen. »Wer?«
»Der, vor dem du wegläufst.«
»Ich bin aus meiner Wohnung gekündigt«, versuchte ich Andrea auf eine andere Fährte zu locken und musste sie dann beschwichtigen. Sie war empört, dass ich ihr das erst jetzt erzählte. Also musste ich zur Ablenkung auch alles andere beichten – vom Haus in Wampertskirchen, Martina Hase-Berg und Yvonne. Andrea unterbrach mich kein einziges Mal. Das verunsicherte mich. Als sie endlich redete, klang ihre Stimme sehr ernst. »Du willst also wirklich dort einziehen?«
Woher sollte ich das wissen. »Ja«, sagte ich. Nein , dachte ich.
»Hast du dir das gut überlegt?«
»Ich habe keine Wahl! Wie soll ich in München eine Wohnung finden!«
»Hast du es denn schon probiert?«
»Nein, aber das weiß doch jeder.«
Andrea seufzte. »Dass du raus aus der Stadt willst, das verstehe ich. Ist ja auch besser für Flipper …«
»Ich will gar nicht raus aus der Stadt! Ich bin nur realistisch. «
»Ich glaube nicht, dass es ratsam ist, an einen Ort zu ziehen, an dem man so etwas Schreckliches erlebt hat.«
»In dem Haus habe ich nichts Schreckliches erlebt.«
»Dort wurde eingebrochen.«
»Ja und?«
»Das ist ein Akt der Gewalt. Der ist in den Mauern gespeichert. Rein energetisch.«
»Wenn das so wäre, dürfte man nirgends einziehen, so lange man nicht selbst gebaut hat.«
»Streng genommen ja.« Andrea warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Wo ist er eigentlich, der Hochsitz?«
»Da vorne«, wies ich die Richtung. Es beeindruckte mich immer wieder, wie schnell Andrea das Thema wechseln konnte. Sie merkte, wenn sie nicht weiterkam und trat den Rückzug an – im Gegensatz zu vielen anderen Leuten, die gerade in Sackgassen das Tempo erhöhen.
»Ich seh nichts.«
»Da hinten in dem Waldstück.«
»Das ist ja ein blöder Platz. Ich würde meinen Hochsitz lieber an den Waldrand stellen.«
»Gibt genug andere, die am Waldrand stehen, hier wimmelt es nur so von Hochsitzen.«
»Können wir das Haus danach auch noch besichtigen?«, fragte Andrea.
»Wenn wir uns beeilen.«
»Ich müsste mal telefonieren, vielleicht habe ich ein bisschen länger Zeit.«
»Hier hast du kein Netz«, sagte ich, und mit diesem Satz rutschte ich eine Woche zurück. Schlagartig war mir flau zumute. Ich wollte mir nichts anmerken lassen und warf einen Stock für Flipper. Er raste los, schnappte sich den Stock, rannte dann aber nicht erwartungsgemäß zu mir zurück, blieb stehen, spitzte die Ohren, wedelte und spurtete erst recht los. In die falsche Richtung.
»Flipper!«, rief Andrea. »Was hat er?«, fragte sie mich. Tja, was hatte er? Ich wusste nicht, warum er sich in dieser Gegend immer so merkwürdig benahm. Dann erkannte ich,
dass er sich gar nicht merkwürdig benahm. Ein bunter Fleck kam auf uns zugeradelt.
Simon kriegte sich vor Freude überhaupt nicht mehr ein und drückte Flipper fast die Luft ab. Der ließ sich alles gefallen.
»Mensch, Simon! Du hast mich ja sauber stehen lassen am Wochenende!«, begrüßte ich ihn.
»Ich?«
»Egal. Was machst’n hier draußen? Hältst du noch immer Wache als Hilfspolizist?«
»Wie?«, fragte Andrea.
»Andrea, das ist Simon. Er hilft dem Kommissar.«
»Ich hab euch längst entdeckt!«, verkündete Simon stolz.
»Kein Wunder«, grinste Andrea. »Bei dem Gerät.«
Jetzt fiel es mir auch auf. Vor Simons Brust pendelte ein Fernglas.
»Ich bin Andrea«, stellte Andrea sich vor.
»Simon«, sagte Simon.
Sie beugte sich zu ihm. »Das ist ja ein tolles Fernglas.«
Simon wurde rot.
»Kann ich mal durchschauen?«
»Ich muss heim!«, rief Simon, schwang sich auf sein Fahrrad und trat in die Pedale, als wäre der Teufel hinter ihm her.
Flipper schaute mich fragend an.
»Dableiben«, befahl ich ihm.
»Was war das denn?«, wollte Andrea wissen.
»Keine Ahnung.«
»Ist der immer so?«
»Er ist ein bisschen seltsam, aber nein, eigentlich ist er eher gesprächig.«
»Seine Eltern
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