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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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haben mir schon von ihm erzählt«, beschwerte eine der Neuen sich. »Ehrlich gesagt bin ich nur seinetwegen hier.«

    Ich lächelte freundlich. Unglaublich, was einem manche Leute in bester Absicht ins Gesicht sagen.
    »Nächste Woche ist er wieder im Training«, antwortete ich ausweichend. Flipper saß im Auto, bei offener Kofferraumklappe. Es sollte so aussehen, als würde ich gleich wiederkommen. Mein Trainerinnenparkplatz war nämlich besetzt, und wenn ich einen Parkplatz gesucht hätte, wäre ich vielleicht erst gegen Ende meiner Stunde aufgetaucht. Ich hoffte, Flipper würde einen Strafzettel verhindern, dazu müsste eine mutige Politesse dem Volvo nämlich auf den Leib rücken.
    »Heute brauchen wir Hanteln und die Stepper«, entschied ich spontan und legte eine CD zum Warm-up ein.
     
    Als ich sechs Stunden später mit entspannten Muskeln nach zwei Saunagängen endlich in meinem Bett lag, fühlte ich mich auf einmal sehr einsam, so einsam, dass ich Flipper rief. Er kam nicht, natürlich nicht. Das Schlafzimmer ist Chefinneneigentum. So stand ich auf und tappte auf nackten Sohlen in die Küche zu Flippers Korb. Tock, tock, tock, begrüßte mich mein schwarzer Riese. Ich sah ihn kaum in dem schmalen Streifen Mondlicht, der hereinfiel, und kniete mich neben ihn. Flipper streckte sich und machte dann Platz. Ich setzte mich mit einer Pobacke in die warme weiche Mulde. Flipper grunzte und legte seinen großen Kopf in meine Hände. Ich streichelte sein weiches Fell. Immer schwerer wurde sein Kopf. Wie eine Katze schmiegte er sich in meine Hand, die viel zu klein für seinen Kopf war. Hin und wieder seufzte er hingebungsvoll aus tiefster Flipperseele.

    »Hey du«, flüsterte ich in sein Ohr, das zuckte.
    »Bist meine große Liebe.«
    Tock, tock, tock.
    Keine Ahnung, warum, vielleicht hatte ich Eisprung oder einen Sprung in der Schüssel, jedenfalls fing ich zu heulen an. Ich heulte Flippers ganzen Hundekorb voll, und er hatte mächtig zu tun, mein Gesicht trocken zu kriegen, weil ich Gesichtabschlecken überhaupt nicht ausstehen kann und mir die Hände davorhielt. Später umarmte ich ihn. Wie weich er war und kräftig und warm. Sein Herz schlug langsam und stark. Und dann heulte ich erst recht, weil Flipper kein Mensch war. Seine Lebenserwartung war begrenzt, ich durfte nicht mal daran denken, wie ich leben sollte ohne ihn, aber ich musste zwanghaft daran denken. Dieses Wesen da, das ich im Gebüsch gefunden hatte, hatte mich zurück ins Leben geholt, weil es ohne mich sein junges Leben verloren hätte. Fiepend hatte es mich weichgeschleckt und aufgetaut.
    »Wir machen uns eine schöne Zeit«, flüsterte ich in Flippers Ohr. »Einfach eine schöne Zeit. Mehr geht nicht. Wenn wir das schaffen, dann haben wir eine Menge geschafft.«
    Tock, tock, tock, machte Flipper. Und tock, tock, tock dachte ich über mich selbst. Das hätte ich früher auch nicht für möglich gehalten, dass ich einmal zu einer solchen Karikatur verkommen würde, einem Frauchen, wie es im Buche stand, das einen Hund liebte wie ein Kind. Ja, genauso war es. Wie ein Kind. Flipper war mein Kind light. Und manchmal meine Oma, die ihre Pfoten um mich legte und alles über mich wusste, was wichtig war, und mich niemals im Stich lassen würde. So lange sie am Leben war. Und danach
auch noch, unsichtbar. Sollte die Reinkarnation eine Tatsache sein, nicht bloß der verzweifelte Wunsch nach Party forever, würde ich mir meine Oma in Flipper wünschen. Als Flipper klein war, hatte ich mir das manchmal vorgestellt. Aber jetzt beschloss ich, meine Oma im Himmel zu lassen und Flipper auf Erden. Und mal ganz ehrlich: Knuddeln mit Flipper ist viel kuscheliger, denn meine Oma hatte überhaupt kein Fell, nur manchmal Haare auf den Zähnen.

10
    Andrea hatte mir zu Hause aufs Band gesprochen, auf die Mailbox und eine SMS geschickt. Sie würde mich mittags abholen, um mit mir eine kleine Landpartie zu unternehmen. Während sie auf meinem Anrufbeantworter noch locker-flockig geklungen hatte und so, als wäre es möglich, dass ich absagte, war ihre SMS im Befehlston formuliert: Ich weiß, dass du Dienstagmittag Zeit hast. Ich begleite euch beim Gassi. Ich will mit dir zum Hochsitz.
     
    Das sah mir ganz nach Traumatherapie aus. Heute war es eine Woche her. Tag sieben. Ich beschrieb Andrea den Weg und erwartete sie an meinem verbotenen Geheimparkplatz im Wald. Andrea knuddelte Flipper ausgiebig, als sollte ich gar nicht auf die Idee kommen, unser Treffen habe etwas mit

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