Alle Vögel fliegen hoch
verschlingen, sah ich keinen Anlass, einzugreifen.
»Sie da! Nehmen’S den Hund weg!«, brüllte mich der ältere Herr an, der aufgebracht und leicht hinkend in meine Richtung gestürzt kam und seinen grünen Hut mit dem Gamsbart im Gehen aufsetzte.
»Der tut nichts«, sagte ich. »Das sehen Sie doch!«
»Sarah! Kimm zu mir.«
»Opa, der ist gaaaanz lieb, schau, wie lieb der is«, warb Sarah und drückte Flipper zum Beweis einen Schmatz auf den Kopf. Da ließ Flipper sich nicht lumpen, fuhr seine lange Zunge aus und schleckte quer über das Gesicht des Mädchens, das begeistert quietschte. Ich schätzte Sarah
auf zwölf, offensichtlich war sie zum Reiten gekommen, sie steckte in schwarzen Stiefeln und einer dunkelbraunen Hose mit Ledereinsätzen an den Innenschenkeln.
»Was woin Sie?«, fuhr der Opa mich an. »Sarah, kimm jetzt her!«
Geschmeidig schlüpfte sie an seine Seite und ließ ihre kleine Hand in der großen Opahand verschwinden. Wie ein artiges Hündchen schaute sie zu ihm auf. Das inspirierte Flipper, in vorbildlichem Fuß neben mir Platz zu nehmen. So standen wir uns gegenüber, der Opa und ich, zwei Duellanten.
»Zu den Widmanns tät ich wollen«, sagte ich.
»Die sand ned da.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil sie sonst ja da wären, wenn sie da wären.«
Da hatte der Mann wohl Recht. »Der Schlüssel steckt«, sagte ich.
»Der steckt immer.«
»Und wer sind Sie?«, fragte ich, womit der Opa anscheinend nicht gerechnet hatte.
»Ich?«, rief er. »Ich?« So als würde ihn jeder kennen.
»Des is mei Opa«, sagte Sarah.
»Sarah, geh schon mal zur Bella«, befahl der Opa.
»Des is mei Pferdl«, erklärte Sarah mir und fragte: »Darf der Hund mit?«
»Nein«, verbot der Opa.
Flipper schaute mich empört an. Ich nickte ihm leicht zu. Er stand auf.
»Hoitn’Sie Eanan Köter im Zaum!«
Im Großen und Ganzen bin ich auch bei Hundehassern
meistens freundlich. Viele haben einfach Angst, und die kann man ihnen vielleicht nehmen, indem man beispielsweise erklärt, warum ein unerzogener Hund hochspringt, wenn man die Arme panisch nach oben reißt: Er glaubt, man will mit ihm spielen und hält einen Ball in der Hand versteckt. Was ich überhaupt nicht ausstehen kann, ist das Wort Köter. Das habe ich noch nie auf Flipper sitzenlassen und jedes Mal zurückfäkalt. Ich überlegte mir gerade eine passende Beleidigung, da setzte Flipper sich, und ich merkte, dass er nicht verteidigt werden wollte, ja, dass er mich sogar darum bat, Abstand davon zu nehmen. Vielleicht wegen Sarah. Er liebt Kinder nun mal über alles.
»Der Hund tut nichts«, wiederholte ich widerwillig.
»Mia brauchan hier keinen Hund nicht!«
Die doppelte Verneinung. Also doch ein Verwandter? Oder regional üblich?
»Ja, ja«, sagte ich, drehte mich um und verließ den Hof, ehe meine Beherrschung platzte. Ich wollte bei Simon klingeln und es später noch einmal bei den Widmanns versuchen. Dass mit diesem Opa kein vernünftiges Gespräch möglich war, brauchte ich nicht weiter zu testen. Dabei hätte ich ihm gern mitgeteilt, dass ich es auch nicht in Ordnung fand, wie Sarah reagierte. Es gibt solche Kinder. Die sind verrückt nach Hunden – zum Leidwesen ihrer Eltern.
Auch bei Simon öffnete niemand. Er war wohl noch in der Schule. »Schlecht geplant, Franza«, schalt ich mich, lief mit Flipper um Simons Haus herum und näherte mich dem Grundstück der Widmanns von hinten. Vielleicht waren sie im Garten oder in der Scheune.
»Such, Flipper«, befahl ich ihm.
Er spurtete los, die Schnauze tief am Boden. Ich folgte ihm: Flipper strebte direkt in den Schuppen, eines der Flügeltore stand offen. Gute Idee, da konnte ich gleich mal überprüfen, ob Herr Widmann das Dämmmaterial für mein Haus tatsächlich gelagert oder er diesbezüglich auch gelogen hatte.
Der Schuppen war zweigeteilt. Links diverse Gerätschaften und ein ziemlicher Saustall, rechts ein kleiner Heustadel mit einer Leiter zu einem Heuboden … es war zu verlockend! Flipper buddelte begeistert im Heu und nieste im Überschwang seiner Gefühle. Ich wollte auch Spaß haben und stieg die Leiter hoch. Es war mindestens zweihundert Jahre her, seit ich von einem Heuboden gesprungen war. Oben angekommen blickte ich durch das kleine dreieckige Fenster. Der Opa hatte seinen Arm um Sarahs Schultern gelegt, sie schaute zu ihm auf und erzählte ihm was. Der Opa nickte und lachte. Sein kantiges Gesicht war rund geworden, er ging sogar in die Knie, und ich konnte deutlich
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