Alle Vögel fliegen hoch
man doch nicht im Wohnzimmer halten! Das ist doch Blödsinn! Ein Vogel muss fliegen!«
Der Kommissar knüllte seine Zeichnung zusammen. Ich hatte den Eindruck, er war wütend, doch er lächelte mich an.
»Frau Fischer«, sagte er in angespanntem Ton, als hätte er
sein Pistolenhalfter deutlich zu eng geschnallt, »warum fällt Ihnen das erst jetzt ein?«
»Es tut mir leid, ich habe es vergessen!«, rief ich.
»Und wann ist es Ihnen wieder eingefallen?«
»Gestern.«
»Warum sagen Sie es mir dann erst heute?«
»Ich wusste gestern, dass wir uns heute sehen.«
»Und warum habe ich ständig den Eindruck, dass Sie noch viel mehr wissen?«
»Das weiß ich nicht«, sagte ich leise.
»Was hindert Sie daran, mir mitzuteilen, was Sie noch wissen? Inwiefern haben Sie mit dieser Sache zu tun?«
»Ich habe nichts damit zu tun!«
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass da noch irgendetwas ist. Und das gefällt mir nicht. Denn auf mein Gefühl kann ich mich verlassen.«
»Schön für Sie«, entflutschte es mir. Schnell schob ich nach: »Da ist nichts.« Da war ja wirklich nichts. Das Einzige, was ich für eine kurze Zeit noch zurückhalten wollte, war die Geschichte mit dem Fernglas. Ich wollte erst mit Simon sprechen, ehe die Polizei bei seinen Eltern aufkreuzte. Alles andere war meine Privatangelegenheit. Ja, ich hatte mir vorgenommen, dem Kommissar von meiner Bewerbung um das Haus zu erzählen, doch der Abend war noch jung. Später vielleicht. Nach einem Glas Wein. Oder zweien. Hauptsache nach dem Essen, wenn man satt und friedlich und gütig gestimmt träge dem Schwappen des Wassers lauschte.
»Klaus Hase hat erst vor kurzem die Falknerprüfung absolviert«, sagte der Kommissar in einem Ton, als würde er
mit sich selber reden. »In Bayern darf man nur einen Falken halten, wenn man auch im Besitz eines Jagdscheins ist. Den hatte Herr Hase nicht. Es ist im Übrigen alles andere als leicht, an Falken zu kommen. Deshalb werden sie zum Teil illegal verkauft. Vielleicht kann man sich mit Hilfe eines Lockvogels einen fangen.«
»Man kann Vögel auch ausstopfen«, entfuhr es mir in Erinnerung an das Massaker in Klaus Hases Wohnung.
»Ja, dafür werden sie ebenfalls gefangen, aber das ist alles illegal. Wo genau haben Sie den Käfig gefunden, Frau Fischer?«
»Flipper hat ihn gefunden.«
Ausnahmsweise reagierte der Kommissar nicht auf diese Korrektur. »Erinnern Sie sich an den Ort?«
»Nein, es tut mir leid, das ist zu lange her, und außerdem sieht da alles gleich aus,… nein, ich glaube nicht.«
»Wenn der Käfig tatsächlich von Klaus Hase stammen würde, müsste er noch dort stehen«, dachte der Kommissar laut, »er hatte schließlich keine Gelegenheit, ihn wegzuräumen … Haben Sie den Käfig berührt? Haben Sie irgendetwas verändert?«
»Ich habe den Vogel fliegen lassen.«
»Gut. Sonst wäre er vielleicht verendet. Was für ein Vogel war das?«
»Ich weiß nicht… Vielleicht eine Amsel? Nein, eher eine Taube? Sicher kein Spatz, der Vogel war größer. Keine Ahnung. Ich habe überhaupt kein Bild dazu. Ich weiß nur, dass er nicht bunt war. Tut mir leid, ich könnte den Vogel bestimmt beschreiben, wenn ich nicht kurz darauf den Toten gefunden hätte! Das hat alles andere überlagert. Wenn ich
Klaus Hase nicht gefunden hätte, wäre der Käfig die Sensation gewesen, verstehen Sie! Man findet nicht mitten im Wald einen Vogel hinter Gittern!«
»Hat Flipper gebellt?«
»Ja, klar. Das war auch für ihn was Besonderes.«
»Wenn jemand in der Nähe gewesen wäre… Hätte er das gehört?«
»Wahrscheinlich schon. Flipper hat ja eine ziemlich laute und kräftige Stimme.«
Tock, tock, tock.
»Haben Sie jemanden gesehen?«
»Nein. Nur den Jeep mit der Staubwolke«, sagte ich, während ich Flippers großen schwarzen Kopf kraulte.
»Ich muss mal kurz telefonieren«, sagte der Kommissar. Ich trank ein paar Schluck Wasser und schaute ihm nach, wie er an der Promenade auf und ab lief und gestikulierte. Seine Bewegungen waren dynamisch und energiegeladen. Zu gern hätte ich gewusst, was er wem sagte, und das fragte ich ihn dann auch, doch ich erhielt keine Antwort.
»Woher kennen Sie sich mit Vögeln überhaupt so gut aus?«, wollte ich ersatzweise wissen, stockte, spürte die Hitze in meinem Gesicht. Der Kommissar schien meine Verlegenheit zu genießen und musterte mich genüsslich. »Es freut mich, dass Sie mich diesbezüglich für einen Fachmann halten, Frau Fischer«, grinste er schließlich. »Die
Weitere Kostenlose Bücher