Alle Vögel fliegen hoch
Nähe bin, manchmal hilft es einem Kind nämlich schon, wenn irgendeiner da ist, das muss gar kein Verwandter sein und gar nicht oft, nur hin und wieder, und ein Hund dazu ist noch besser, und deshalb muss ich mit dem Opa von der Sarah reden, weil die Widmanns, die hatte ich doch schon auf meiner Seite.«
»Ich muss das alles gar nicht verstehen«, sagte Felix, als würde er zu sich selbst sprechen.
»Wollen Sie mir damit sagen, dass es Ihnen egal ist, wo ich wohne?«
Felix zögerte kurz. »Ja.«
»Also gönnen Sie es mir nicht, mich unter die Reichen und Schönen zu mischen«, versuchte ich einen Scherz.
»Das ist doch ein Schmarrn!«, widersprach Felix. »In Starnberg wohnen ganz normale Leute. Alle, die sich nicht auskennen, glauben, hier residiert ausschließlich High Society. In Wirklichkeit sind die meisten schönen alten Villen am Wasser vererbt. Das waren früher Sommerfrischlerhäuser, ohne Heizung. Erst später hat man sie zu Wohnhäusern
umgebaut und sie an die Kanalisation angeschlossen. Die Promis, die wohnen in zweiter und dritter Reihe, und wenn wir den See nicht hätten, würde kein Hahn nach Starnberg krähen, es ist eine laute, verbaute Stadt. Und mir ist es egal, wo Sie wohnen, ich jedenfalls täte nicht in Starnberg wohnen wollen, so lange die Umgehungsstraße im Sand verläuft und der Stadtrat seine Baugenehmigungen auswürfelt, sonst könnte er ja wohl kein goldenes Dach in der Maximilianstraße genehmigen oder eine Kreissparkasse mit solchen Riesenfenstern.«
»In der Stadt Starnberg will ich ja gar nicht wohnen.«
»Ich schreib Ihnen nicht vor, wo Sie wohnen!«
»Nein? Aber wo ich spazieren gehe, schon.«
»Wenn ein Mörder frei rumläuft, ja.«
»Dann schnappen Sie ihn!«
»Ja, das werde ich«, sagte der Kommissar mit einer Stimme, die mir Gänsehaut machte.
17
Es war nicht mehr schön daheim. Es war leer und hohl und still. Ich vermisste sie. Beide. Ich hätte gern ein paar Käsebrote geschmiert und einen Espresso gekocht, und Simon hätte überall Fingerabdrücke hinterlassen dürfen. Die von Felix hätte ich gern persönlich genommen. Man musste keine eigenen Kinder haben. Man konnte auch fremde Kinder mögen. Und außerdem gab es überhaupt nichts Praktischeres als einen Simon in der Nachbarschaft. Ich könnte immer ausschlafen. Simon würde sich über jedes Gassi freuen. Wir konnten uns auch mal ein Tretboot mieten, und wenn er sich abends einsam fühlte, würde er zu mir kommen, das Dschungelbuch zum Beispiel hatte ich schon lang nicht mehr angeschaut, und wenn es sein musste, würde ich mir auch ein Autorenncomputerspiel zulegen.
Ich wartete, bis es zehn war, und rief die Widmanns an.
»Ja Sie!«, rief Frau Widmann. »So wos!«
»Ich wollt noch mal fragen«, sagte ich.
»Des bringt nix. Weil wenn mei Mo na sogt, dann sogt’a na. Oiso: Wenn mein Mann nein sagt …«
»Ich hab’s schon verstanden.«
»Mia duads leid, i hätt mir des scho vorstellen können mit dem Flipper … und Eana.«
»Ich hab gedacht, wenn ich vielleicht mal den Opa von der Sarah frag, weil bis der aufgetaucht ist, hat doch alles gepasst, also wenn Sie mir die Nummer geben könnten von dem Opa oder den Nachnamen, er heißt Rudi?«
»Des bringt nix. Wenn mei Mo na sogt, na sogt’a na.«
»Ich wollt’s halt mal probieren, und Sie haben ja auch gesagt, dass Sie sich des hätten vorstellen können.«
»Ich! Mia vorstellen!«
»Ja, des ham Sie eben gesagt.«
»Ja mei, Frau Fischer. I kannt mia vui vorstellen, wenn da Dog lang ist.«
»Ich tät’s halt mal probieren wollen.«
»Der interessiert sich ollawei bloß für seine Daub’n, nachad hättn’s vielleicht a Schase.« Sie sagte Chance wie unser Kaiser. Ein hellbrauner Haufen lauwarmer Scheiße, in den zuvor der Fußball gestippt war.
Irgendetwas polterte im Hintergrund, und dann verabschiedete sich Frau Widmann bayerisch herzlich und gänzlich ohne Konjunktiv, nämlich gar nicht.
»Das wird ein harter Job«, sagte ich zu Flipper und zweifelte nicht im Geringsten daran, dass er uns auch beim Opa salonfähig wedeln würde. Flipper war noch überall reingekommen. Sogar in die Praxis meiner Hausärztin, okay, nur bis ins Wartezimmer, aber das würde mir bei Sarahs Opa schon genügen. Ich wollte ja nicht bei ihm einziehen. Und er schien gar nicht so unfreundlich zu sein, wenn er sich für Taube interessierte, vielleicht war seine Frau taub oder er hatte ein Ehrenamt inne.
18
»Sie sind zu früh«, rief mir der Waldschrat entgegen,
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