Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
Gedanken gekommen, dass Mengs’ Ehefrau Margherita Guazzi, der Winckelmann in tiefer persönlicher Freundschaft verbunden war, etwas mit dieser Angelegenheit zu tun haben könnte. Dieser Spur wollen wir hier nachgehen, um eine Erklärung für das feindselige Verhalten von Mengs zu finden.
Margherita Guazzi war wegen ihrer Schönheit berühmt, und nach der von den beiden offiziellen Biographen des Künstlers, Azara und Giovanni Ludovico Bianconi, überlieferten Version, die auf Mengs selbst zurückgeht, machte er Margherita zu seinem Modell, als er sie auf der Straße sah, verliebte sich in sie und nahm sie ungeachtet ihrer niederen Herkunft zur Frau (Abb. 15). Es gibt aber auch eine andere Version, die auf Informationen beruht, die sich Nicolas Guibal, ein Schüler von Mengs, in Rom verschaffte. Danach hatten sich die Dinge anders abgespielt:
In Rom reichte Schönheit allein nicht aus, um einen guten Ehemann zu finden. Nötig war auch eine Mitgift, die Margherita Guazzis Familie aber nicht aufbringen konnte, denn sie gehörte zu den untersten Schichten der römischen Bevölkerung. Margheritas Vater Michele, genannt Michelangelo, verdiente sein Brot mit einem Karren, mit dessen Hilfe er den Abfall in den Straßen auflas. Er war also eine Art Müllmann. Seine älteste Tochter Angela hatte er mit Nicola Colarelli verheiratet, der in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan als Kehrer arbeitete. Mengs war 1742 nach Rom gekommen, um sich unter der Aufsicht seines Vaters Ismael, Maler des Herzogs von Sachsen, in der Malerei auszubilden. Ismael Mengs hatte Urlaub vom Hof in Dresden genommen, um seinem Sohn durch das Studium in Rom eine gute Karriere zu sichern. Zu Studienzwecken schickte er ihn auch in die Sixtinische Kapelle, um die Fresken Michelangelos zu kopieren. Hier sah ihn der Kehrer Colarelli und fragte ihn eines Tages, ob er nicht ein Modell für seine Malerei brauche; er könne ihm eine sehr schöne «Kusine» vorstellen. Mengs war hingerissen von der außerordentlichen Schönheit des Mädchens und nahm sie sofort in seinen Dienst. So begann Margherita Guazzi für ihn Modell zu stehen, und zwischen einer Pose und der anderen machte er mit ihr das, was alle seine Kollegen in Rom zu tun pflegten, er ging mit ihr ins Bett. Der heiß verliebte Mengs wollte Margherita aber unbedingt auch heiraten, was sein Vater jedoch aufs Strikteste ablehnte. Um die Heirat zu verhindern, bot dieser ihm sogar an, aus eigener Tasche das Modell zu bezahlen, damit Margherita seine Geliebte bleiben konnte. Mengs ging darauf aber nicht ein und wandte sich an das römische Inquisitionsgericht, mit dessen Hilfe er Margherita schließlich heiraten konnte. Dies alles hatte Mengs’ Schüler Guibal in Rom erfahren.
Abb. 15: Anton Raphael Mengs, Bildnis von Margherita Guazzi, Madrid, Museo del Prado
Seine Darstellung entspricht indes nicht ganz den in der ewigen Stadt herrschenden Gepflogenheiten. In Rom war der Beruf des Modells gewöhnlich das Vorzimmer zur Prostitution, wie auch Goethe Herzog Carl August von Weimar in einem bekannten Brief darlegte. Dies war sicher auch Ismael Mengs bekannt, wie schon das Angebot, Margherita zu bezahlen, deutlich macht. Es gab indes für arme Familien, die eine Mitgift nicht aufbringen konnten, noch eine andere Möglichkeit, ihren hübschen Töchtern einen Ehemann zu verschaffen. Rom stand unter der Fuchtel des Vikariatsgerichtes, das es allen Pfarrern zur Pflicht machte, über die Keuschheit der heiratsfähigen Mädchen zu wachen, wobei auch die Mitarbeit der Verwandten und Nachbarn gefordert war. Immer wenn bekannt wurde, dass ein Mädchen in der Pfarrei sittenwidrige Beziehungen zu einem Mann unterhielt, gleich ob dieser ein Einheimischer oder ein Fremder war, schritt der Pfarrer mit Mahnungen ein. Hatten diese keinen Erfolg, endete die Affäre mit dem Eingriff der Polizei, Gefängnis oder einer von der öffentlichen Gewalt befohlenen Zwangsheirat zur Wiedergutmachung der Schande. Opfer dieser Situation waren manchmal auch Maler, vor allem ausländische, die von diesem repressiven Vorgehen zum Schutz der guten Sitten nichts wussten.
Auch der deutsche Schriftsteller Johann Wilhelm von Archenholz beschreibt in seinem Bericht über seine Reise nach Rom ausführlich dieses rabiate System. Ihm zufolge war es manchmal nicht einmal nötig, den Pfarrer einzuschalten, es genügte oft schon die Drohung der Familie, sich an diesen zu wenden, um den unglücklichen Liebhaber eines Mädchens aus dem Volk zur Heirat
Weitere Kostenlose Bücher