Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
der Topographie des antiken Roms widme. Er benutzte dazu, wie man weiß, ein paar dicke Wälzer über die römische Geschichte, die er sich gekauft hatte. Dieser Kauf lässt erkennen, dass sein Interesse dem antiken, nicht aber dem christlichen, mittelalterlichen oder modernen Rom galt.
Viel ausführlicher noch berichtet Freud von diesen Träumen in seinem ersten großen Werk, der Traumdeutung, das er 1899, wenn auch mit dem Datum 1900, veröffentlichte. Von seinen römischen Träumen berichtet er im fünften Kapitel in einem Absatz, der Das Infantile als Traumquelle überschrieben ist, ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Bedeutung dieser Träume mit seinen frühkindlichen Erfahrungen verbunden war. Nachdem er zu Beginn erklärt hat, dass seine Träume über Rom trotz aller heißen Wünsche dazu bestimmt seien, sich nie zu erfüllen, erzählt er sie in der Folge der Reihe nach und bringt sie sogleich auch mit zwei jüdischen Anekdoten in Verbindung, von denen eine auf den bekannten Spruch verweist: «Alle Wege führen nach Rom.» Dann gibt er eine Interpretation dieser Träume: «Auf meiner letzten Italienreise, die mich unter anderem am Trasimener See vorbeiführte, fand ich endlich, nachdem ich den Tiber gesehen und schmerzlich bewegt achtzig Kilometer weit von Rom umgekehrt war, die Verstärkung auf, welche meine Sehnsucht nach der ewigen Stadt aus Jugendeindrücken bezieht.» Um den Grund des Hindernisses zu verstehen, das es ihm verwehrte, Rom zu erreichen, kam ihm eine Jugenderinnerung zu Hilfe, in der der punische Feldherr Hannibal, der die Römer mehrmals besiegt, doch nie gewagt hatte, gegen Rom zu ziehen, eine Rolle spielte: «Ich war ja auf den Spuren Hannibals gewandelt; es war mir so wenig wie ihm beschieden, Rom zu sehen, und auch er war nach Kampanien gezogen, nachdem alle Welt ihn in Rom erwartet hatte. Hannibal, mit dem ich diese Ähnlichkeit erreicht hatte, war aber der Lieblingsheld meiner Gymnasialjahre gewesen; wie so viele in jenem Alter, hatte ich meine Sympathien während der punischen Kriege nicht den Römern, sondern dem Karthager zugewendet.» Die antisemitischen Äußerungen seiner Schulkameraden führten ihn dann dazu, seine Sympathien für Hannibal genauer zu präzisieren: « Hannibal und Rom symbolisierten dem Jüngling den Gegensatz zwischen der Zähigkeit des Judentums und der Organisation der katholischen Kirche. Die Bedeutung, welche die antisemitische Bewegung seither für unser Gemütsleben gewonnen hat, verhalf dann den Gedanken und Empfindungen jener frühen Zeit zur Fixierung. So ist der Wunsch, nach Rom zu kommen, für das Traumleben zum Deckmantel und Symbol für mehrere andere heiß ersehnte Wünsche geworden, an deren Verwirklichung man mit der Ausdauer und Ausschließlichkeit des Puniers arbeiten möchte und deren Erfüllung zeitweilig vom Schicksal ebensowenig begünstigt scheint wie der Lebenswunsch Hannibals, in Rom einzuziehen.» Die Verbindungslinie zwischen der Sympathie für Hannibal und der Plage des Antisemitismus ist damit gezogen, und dies ruft ihm sehr schmerzliche kindliche Erlebnisse ins Gedächtnis zurück. Er erinnert sich an die Spaziergänge mit seinem Vater im Alter von etwa zwölf Jahren, als dieser ihm einmal eine sehr hässliche, von ihm erlebte Episode erzählte: «Als ich ein junger Mensch war, bin ich in deinem Geburtsort am Samstag in der Straße spazierengegangen, schön gekleidet, mit einer neuen Pelzmütze auf dem Kopf. Da kommt ein Christ daher, haut mir mit einem Schlag die Mütze in den Kot und ruft dabei: Jud, herunter vom Trottoir! ‹Und was hast Du getan?› Ich bin auf den Fahrweg gegangen und habe die Mütze aufgehoben, war die gelassene Antwort. Das schien mir nicht heldenhaft von dem großen starken Mann, der mich Kleinen an der Hand führte. Ich stellte dieser Situation, die mich nicht befriedigte, eine andere gegenüber, die meinem Empfinden besser entsprach, die Szene, in welcher Hannibals Vater, Hamilkar Barkas, seinen Knaben vor dem Hausaltar schwören läßt, an den Römern Rache zu nehmen. Seitdem hatte Hannibal einen Platz in meinen Phantasien.»
Zwischen 1895 und 1898 hatte Freud sechs Reisen nach Italien unternommen, ohne dass es ihm trotz seiner Sehnsucht je gelungen wäre, Rom zu betreten. Bei der Arbeit an der Traumdeutung war ihm endlich der Grund dafür klar geworden. Aber es mussten noch ein paar Jahre vergehen, bevor er sich 1901 endlich dazu entschloss, sich den Traum seines Lebens zu erfüllen. Am
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