Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
wie auf dem Goethe-Denkmal dargestellt, und ihr Schöpfer hatte wahrscheinlich nicht beabsichtigt, dem Teufel jüdische Züge zu geben, wie Freud vermutete. Doch abgesehen davon, kannte sich der Arzt Freud, der in Wien ein angesehenes Gymnasium besucht hatte, bei Goethe gut aus, denn er identifizierte mühelos die drei Personengruppen, die auf dem Denkmal dargestellt waren, aus seinen Werken. Diese Figuren hatte man deshalb gewählt, weil sie die enge Verbindung Goethes zu Italien symbolisieren sollten, und zweifellos war die Wahl gelungen: Der Harfner und Mignon aus dem Wilhelm Meister waren Italiener, in Rom brachte Goethe seine Iphigenie in Verse, und in der römischen Villa Borghese schrieb er eine Szene des Faust , die Hexenküche. Der Schöpfer des Denkmals, der Bildhauer Gustav Heinrich Eberlein, war seit 1893 Professor an der Berliner Kunstakademie, und sein Werk gibt sich schon auf den ersten Blick als eines jener typischen akademischen Erzeugnisse zu erkennen, mit denen damals ganz Europa übersät wurde.
Abb. 27: Gustav Eberlein, Goethe-Denkmal
Bei seinem Spaziergang durch die Villa Borghese machte Freud noch eine weitere Entdeckung. Von Pincio aus durch den Park schlendernd, stieß er nur wenige hundert Meter vom Goethe-Denkmal entfernt auf ein zweites Denkmal, das Denkmal Victor Hugos, das von den Franzosen der Stadt Rom geschenkt worden war und in offensichtlichem Zusammenhang mit dem Goethes stand (Abb. 28). Freud merkte dazu an: «Diese Statue hat den guten Kaiser Wilhelm nicht ruhen lassen, und so hat er aus Concurrenzneid die Statue von Goethe durch Eberlein machen und in demselben Garten aufstellen lassen.» Freud wusste zwar nicht, dass das Hugo-Denkmal des französischen Bildhauers Lucien Pallez später als das Goethes aufgestellt worden war – nämlich 1905 –, doch trotz der irrigen Chronologie gab es tatsächlich, wie Freud zu Recht vermutete, einen politischen Zusammenhang zwischen den beiden Monumenten.
Hochgeschätzt vom hohenzollernschen Kaiserhaus, hatte Eberlein ganz Deutschland mit Kaiser Wilhelm- und Bismarck-Denkmälern überzogen. 1902 beauftragte ihn Wilhelm II. auch mit der Schaffung eines Goethe-Denkmals in Rom; das Gipsmodell war zu dieser Zeit bereits fertig. Zwei wichtige diplomatische Ereignisse jenes Jahres können eine Erklärung für diesen Auftrag geben. Am 28. Juni 1902 war in Berlin die Tripelallianz erneuert worden, die Italien mit Deutschland und Österreich-Ungarn verbündete. Doch am 1. November schloss Italien ein Geheimbündnis mit Frankreich ab, das die Erneuerung der Tripelallianz praktisch hinfällig machte. Von dieser Kehrtwende in der italienischen Außenpolitik hatte man in Berlin schon länger Wind bekommen, denn schon im Januar 1902 soll der Reichskanzler von Bülow diesbezüglich die Bemerkung gemacht haben, dass in einer glücklichen Ehe der Mann nicht gleich in Wallung geraten dürfe, wenn seine Frau einmal ein harmloses Tänzchen mit einem anderen Tänzer wage. Der Walzerdreh der Italiener war aber alles andere als harmlos und hatte schwerwiegende Folgen. Jedenfalls geriet Wilhelm II. in heftigsten Zorn, als er davon erfuhr. Dies war demnach der politische Rahmen, in dem das römische Goethe-Denkmal entstand. Als es 1904 eingeweiht wurde, waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien denkbar schlecht und wurden auch nicht besser, als die Franzosen aus Revanche ein Jahr später im gleichen Park ihr Hugo-Denkmal aufstellten. Das Goethe-Denkmal war also ein wenn auch nur kleiner Zug auf dem diplomatischen Schachbrett in der Partie zwischen Italien, Deutschland und Frankreich, die in den Ersten Weltkrieg münden sollte.
Abb. 28: Lucien Pallez, Denkmal für Victor Hugo
Trotz seiner Präferenz für die Antike besuchte Freud schon während seiner ersten Reise nach Rom im Jahr 1901 die Kirche San Pietro in Vincoli und bewunderte dort die Moses-Statue, die Michelangelo für das Grabmal Papst Julius’ II. geschaffen hatte (Abb. 29). 1912 besichtigte er die Kirche erneut und schrieb am 25. September nach Hause, dass er jeden Tag dorthin gehe, weil er beabsichtige, «vielleicht einige Worte» über die Statue zu schreiben. Im Jahr darauf besuchte er aufs Neue Tag für Tag den Moses, bis er den Entschluss fasste, einen Aufsatz darüber zu schrei ben. Seinem treuen Schüler, dem italienischen Psychoanalytiker Edoardo Weiss, gestand er viele Jahre später in einem Brief vom 24. April 1933: «Durch drei einsame September-Wochen bin ich
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