Alle Weihnachtserzählungen
reden, nachdem du mich ’ne volle Viertelstunde aufgehalten hast.“
„Das tut mir leid, John“, sagte Pünktchen in hastiger Geschäftigkeit, „aber ich könnte wirklich nicht zu Bertha fahren ohne das Kalbfleisch, die Schinkenpastete, die Sachen und die Bierflaschen. Ich würde es auf keinen Fall tun, John. Brr!“
Dieses einsilbige Wort war an das Pferd gerichtet, das sich darum aber nicht kümmerte.
„Ach, halte doch an, John!“ sagte Mrs. Peerybingle. „Bitte!“
„Dazu bleibt noch genug Zeit“, entgegnete John, „wenn ich anfange, Dinge zurückzulassen. Der Korb ist hier, ganz sicher.“
„Was für ein hartherziges Scheusal mußt du sein, John, das nicht gleich zu sagen und mir solche Umkehr zu ersparen. Ich habe versichert, daß ich nicht für Geld und gute Worte ohne das Kalbfleisch, die Schinkenpastete, die Sachen und die Bierflaschen zu Bertha fahren würde. Seit wir verheiratet sind, haben wir regelmäßig alle vierzehn Tage unser Picknick dort gemacht. Wenn damit etwas schieflaufen sollte, würde ich beinahe annehmen, daß wir nie wieder glücklich sein könnten.“
„Das war in erster Linie ein guter Gedanke“, sagte der Fuhrmann, „und dafür verehre ich dich, kleine Frau.“
„Mein lieber John“, antwortete Pünktchen und wurde rot, „sprich nicht davon, daß du mich verehrst. Du meine Güte!“
„Übrigens“, bemerkte der Fuhrmann. „Dieser alte Herr …“
Wieder sichtbare und plötzliche Verlegenheit.
„Er ist ’n sonderbarer Kauz“, sagte der Fuhrmann und sah die Straße vor ihnen entlang. „Ich werd aus ihm nicht schlau. Ich glaube nicht, daß er etwas Böses im Sinn hat.“
„Kein bißchen. Ich – ich bin sicher, kein bißchen.“
„Ja“, sagte der Fuhrmann. Seine Blicke wurden wegen ihres ernsten Benehmens auf ihr Gesicht gelenkt. „Ich freue mich, daß du dir dessen so sicher bist, weil es nur ’ne Bestätigung für mich ist. Ist es nicht komisch, daß er sich in’n Kopf gesetzt hat, uns um Erlaubnis zu fragen, ob er bei uns wohnen kann? Es passieren seltsame Dinge.“
„Sehr seltsame“, erwiderte sie mit leiser, kaum hörbarer Stimme.
„Trotzdem, er ist ’n gutmütiger alter Herr“, sagte John, „und zahlt wie ’n Herr, und ich glaube, man kann sich auf ihn wie ’n Herr verlassen. Heute morgen hab ich mich ziemlich lange mit ihm unterhalten. Er kann mich schon besser verstehen, sagt er, weil er sich mehr an meine Stimme gewöhnt. Er hat mir ’ne ganze Menge über sich erzählt, und ich hab ihm ’ne ganze Menge über mich erzählt, und er hat mir mächtig viele Fragen gestellt. Ich hab ihm darüber Auskunft gegeben, daß ich in meinem Geschäft zwei Runden hab, weißt du: an einem Tag rechts von unserm Haus und wieder zurück, am andern Tag links von unserm Haus und wieder zurück (denn er ist ’n Fremder und kennt nicht die Namen der Plätze hier in der Gegend), und er schien ganz zufrieden. ‚Nun, dann werde ich heute abend auf Ihrem Weg nach Hause gehen‘, sagt er, ‚wenn ich auch glaubte, Sie würden genau in der entgegengesetzten Richtung kommen. Das ist großartig! Ich darf Sie vielleicht bemühen, mich noch einmal mitzunehmen, aber ich verspreche, nicht wieder so fest einzuschlafen.‘ Und ob er fest geschlafen hat! Pünktchen! Woran denkst du?“
„Denken, John? Ich – ich habe dir zugehört.“
„Oh, dann ist es gut!“ sagte der rechtschaffene Fuhrmann. „Bei deiner Miene hatte ich Angst, daß ich zu lange abgeschweift bin und dich zum Grübeln gebracht hab. Ich war wirklich nahe dran.“
Da Pünktchen keine Antwort gab, holperten sie kurze Zeit schweigend dahin. Aber es war nicht ganz einfach, sehr lange in John Peerybingles Wagen schweigend zu bleiben, denn jedermann auf der Straße hatte etwas zu sagen. Obwohl es nur „Wie geht es?“ sein mochte und sehr oft wirklich nichts anderes war, erforderte die bloße Erwiderung auf herzliche Art und Weise nicht nur ein Nicken und Lächeln, sondern obendrein einen kräftigen Einsatz der Lungen wie bei einer langatmigen Parlamentsrede. Manchmal trotteten Passanten zu Fuß oder zu Pferde ein Stückchen neben dem Wagen her, in der deutlichen Absicht, ein Schwätzchen zu machen, und es gab von beiden Seiten eine Menge zu erzählen.
Dann gab Boxer Veranlassung, vom Fuhrmann mehr beachtet zu werden als ein halbes Dutzend Christen! Jeder in der Straße kannte ihn, besonders das Federvieh und die Schweine, die sich sofort, wenn sie ihn ankommen sahen – den Körper ganz auf einer
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