Alle Weihnachtserzählungen
flüsterte Caleb seiner Tochter zu. „O du meine Güte!“
„Immer froh und heiter mit uns!“ rief die lächelnde Bertha. „Oh, du bist ja auch da!“ antwortete Tackleton. „Armer Schwachkopf!“
Er hielt sie wirklich für schwachsinnig, und er gründete seine Überzeugung – ich kann nicht sagen, ob bewußt oder unbewußt – auf ihre Zuneigung zu ihm.
„Nun! Du bist hier – wie geht’s dir?“ fragte Tackleton in seiner mürrischen Art.
„Oh, gut. Sehr gut. Und ich bin so glücklich, wie Sie es mir nur wünschen können. So glücklich, wie Sie die ganze Welt machen würden, wenn Sie es könnten!“
„Armer Schwachkopf!“ murmelte Tackleton. „Kein Fünkchen Verstand. Kein Fünkchen!“
Das blinde Mädchen ergriff seine Hand und küßte sie, behielt sie einen Augenblick zwischen ihren beiden Händen und lehnte ihre Wange zärtlich daran, ehe sie sie losließ. In dieser Geste lag solche unsagbare Liebe und inbrünstige Dankbarkeit, daß selbst Tackleton hingerissen wurde und in einem milderen Grollton als sonst sagte:
„Was ist denn nun los?“
„Ich habe ihn neben mein Kopfkissen gestellt, als ich gestern abend schlafen ging, und noch im Traum an ihn gedacht. Und als der Tag anbrach und die strahlende rote Sonne – die rote Sonne, Vater?“
„Rot am Morgen und am Abend, Bertha“, sagte der arme Caleb mit einem sorgenvollen Blick auf seinen Arbeitgeber.
„Als sie aufging und das helle Licht ins Zimmer schien – ich habe beinahe Angst, daß ich beim Gehen daranstoße –, drehte ich den kleinen Strauch zu ihr hin und dankte dem Himmel, daß er so herrliche Dinge tut, und dankte Ihnen, daß Sie sie mir zur Freude herschicken!“
„Die Irren sind ausgebrochen!“ sagte Tackleton im Flüsterton. „Bald werden wir eine Zwangsjacke und Armfesseln brauchen. Wir sind auf dem besten Wege!“
Caleb, der seine Hände lose ineinander verschränkt hielt, starrte, während seine Tochter sprach, ausdruckslos vor sich hin, als wäre er sich wirklich nicht sicher (ich glaube, es war auch so), ob Tackleton etwas getan hatte, womit er ihren Dank verdiente, oder nicht. Wenn er in diesem Augenblick völlig unabhängig hätte handeln können und unter Todesstrafe gezwungen gewesen wäre, dem Spielzeughändler – je nach seinen Verdiensten – einen Tritt zu versetzen oder ihm zu Füßen zu fallen, hätte er, glaube ich, gleiche Chancen gehabt, welchen Kurs er einschlagen sollte. Doch Caleb wußte, daß er mit eigenen Händen den kleinen Rosenstock für sie so behutsam nach Hause gebracht und mit eigenen Lippen den harmlosen Betrug ausgesprochen hatte, um sie von dem Verdacht abzuhalten, wie sehr er sich täglich selbst verleugnete, nur damit sie um so glücklicher sei.
„Bertha“, sagte Tackleton, dieses eine Mal ein wenig Herzlichkeit vortäuschend, „komm her!“
„Oh! Ich kann direkt zu Ihnen kommen. Sie brauchen mich nicht zu führen!“ entgegnete sie.
„Soll ich dir ein Geheimnis verraten, Bertha?“
„Wenn Sie wollen!“ antwortete sie gespannt.
Wie dieses erblindete Gesicht strahlte! Welcher Glanz den lauschenden Kopf umgab!
„Heute ist doch der Tag, an dem die kleine Dingsda, das verhätschelte Kind, Peerybingles Frau, regelmäßig zu euch kommt, um hier ihr komisches Picknick zu machen, stimmt’s?“ sagte Tackleton und brachte eine starke Abneigung gegen die ganze Angelegenheit zum Ausdruck.
„Ja“, erwiderte Bertha. „Heute ist der Tag.“
„Das dachte ich mir“, sagte Tackleton. „Ich würde mich gern der Gesellschaft anschließen.“
„Hast du das gehört, Vater?“ rief das blinde Mädchen, außer sich vor Freude.
„Ja, ja“, murmelte Caleb mit dem starren Blick eines Schlafwandlers, „aber ich glaube es nich. Das is zweifellos eine meiner Lügen.“
„Weißt du, ich möchte die Peerybingles ein bißchen mehr mit May Fielding zusammenbringen“, sagte Tackleton. „Ich werde May heiraten.“
„Heiraten!“ rief das blinde Mädchen und wich vor ihm zurück.
„Sie ist solch ein verdammter Schwachkopf“, murmelte Tackleton, „daß ich schon befürchtet habe, sie wird mich nicht verstehen. He, Bertha, heiraten! Kirche, Pfarrer, Kirchenbeamter, Kirchendiener, Glaskutsche, Glocken, Frühstück, Hochzeitskuchen, Geschenke, Klapperknochen, Hackmesser und all der andre Quatsch. Eine Hochzeit, verstehst du, eine Hochzeit. Weißt du nicht, was eine Hochzeit ist?“
„Doch“, antwortete das blinde Mädchen sanft, „ich verstehe.“
„Wirklich?“ murmelte
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