Alle Weihnachtserzählungen
Nacht, nicht die der Feen –, und an diesem Punkt der Gedanken des Fuhrmannes stieß der Mond durch die Wolken und schien hell am Himmel. Vielleicht war auch in seinem Gemüt ein ruhiges Licht aufgegangen, und er konnte nüchterner über das Geschehene nachdenken.
Obwohl der Schatten des Fremden in Abständen auf den Spiegel fiel, und zwar stets deutlich, groß und fest umrissen, wirkte er doch nicht mehr so düster wie zu Anfang. Jedesmal wenn er erschien, gaben die Feen einen allgemeinen Schrei der Bestürzung von sich und strengten ihre kleinen Arme und Beine mit unvorstellbarer Betriebsamkeit an, um ihn wegzureiben. Und jedesmal wenn sie an Pünktchen herankamen und sie ihm strahlend und schön noch einmal zeigten, jubelten sie in einer Weise, die ansteckend wirkte.
Niemals zeigten sie sie anders als strahlend und schön, denn für sie als Hausgeister bedeutete Treulosigkeit Vernichtung, und aus diesem Grunde war Pünktchen für sie nur das emsige, strahlende, liebenswürdige kleine Geschöpf, das im Heim des Fuhrmannes das Licht und die Sonne gewesen war.
Die Feen waren ungeheuer aufgeregt, als sie sie mit dem Baby zeigten, wie sie inmitten weiser alter Frauen schwatzte und so tat, als sei sie selbst wunderbar alt und matronenhaft, und wie sie sich in einer spröden, gesetzten Manier an den Arm ihres Mannes lehnte, um den Eindruck zu erwecken – ausgerechnet sie, die erst eine kleine Frau werden sollte! –, daß sie der Eitelkeit der Welt ganz allgemein entsagt hat und zu den Menschen gehört, für die die Mutterschaft überhaupt nichts Neues ist. Doch im selben Atemzug zeigten sie sie, wie sie den Fuhrmann wegen seiner Unbeholfenheit auslachte, ihm den Hemdkragen hochzog, um ihn schick zu machen, und fröhlich durch das Zimmer trippelte, um ihm das Tanzen beizubringen.
Sie wandten sich um und starrten ihn groß an, als sie sie mit dem blinden Mädchen zeigten, denn obwohl sie überall, wohin sie ging, Fröhlichkeit und Leben verbreitete, brachte sie diese Ausstrahlungskraft in verstärktem Maße in Caleb Plummers Heim. Die Liebe des blinden Mädchens zu ihr, sein Vertrauen und seine Dankbarkeit ihr gegenüber; ihre gütige, eifrige Art, Berthas Dank abzuwehren; ihre geschickten kleinen Kunstgriffe, in jedem Augenblick ihres Besuches etwas Nützliches für das Haus zu tun und wirklich schwer zu arbeiten, während sie vortäuschte, sich einen freien Tag zu machen; ihr freigebiges Bereitstellen jener üblichen Delikatessen, des Kalbfleisches, der Schinkenpastete und der Bierflaschen; ihr strahlendes Gesicht, wenn sie an der Tür erschien und Abschied nahm; der wunderbare Ausdruck in ihrer gesamten Erscheinung – vom Scheitel bis zur Sohle –, die ein notwendiger Bestandteil des Haushalts war, ohne den es nicht ging; an alldem ergötzten sich die Feen, und deswegen liebten sie sie. Und wiederum sahen sie ihn alle gleichzeitig flehend an und schienen zu sagen, während sich einige von ihnen an ihr Kleid schmiegten und sie liebkosten: „Ist das die Frau, die dein Vertrauen verletzt hat?“
Mehr als ein-, zwei- oder dreimal während der langen, gedankenreichen Nacht zeigten sie sie ihm, wie sie auf ihrem Lieblingsplatz, die Hände vor dem Gesicht, mit gesenktem Kopf und herabfallendem Haar saß. So wie er sie zuletzt gesehen hatte. Und wenn sie sie so vorfanden, wandten sie sich weder ihm zu, noch sahen sie ihn an, sondern scharten sich um sie, trösteten und küßten sie und drängten sich aneinander, um ihr Zuneigung und Mitgefühl zu bekunden, und vergaßen ihn vollständig.
Auf diese Weise verging die Nacht. Der Mond ging unter, die Sterne verblaßten, der kalte Tag brach an, und die Sonne ging auf. Der Fuhrmann saß noch immer grübelnd in der Kaminecke. Dort hatte er, den Kopf in die Hände gestützt, die ganze Nacht verbracht. Die ganze Nacht hindurch hatte das getreue Heimchen auf dem Herd gezirpt. Die ganze Nacht hindurch hatte er seiner Stimme gelauscht. Die ganze Nacht hindurch hatten sich die Hausfeen mit ihm beschäftigt. Die ganze Nacht hindurch war sie bewunderungswürdig und untadelig im Spiegel gewesen, nur dann nicht, wenn der Schatten darauffiel.
Als es heller, lichter Tag war, stand er auf, wusch sich und zog sich an. Seinen üblichen, freudebringenden Beschäftigungen konnte er nicht nachgehen, dazu brauchte er die nötige Stimmung, aber das machte um so weniger aus, als es Tackletons Hochzeitstag war und er sich auf seinen Runden vertreten ließ. Er hatte geglaubt, daß er mit
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