Alle Weihnachtserzählungen
gedacht hab! Armes Mädchen! Daß ich das jemals glauben konnte!“
„Sie hat es übertrieben“, sagte Tackleton. „Sie hat es so übertrieben, daß dies, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, der Grund für meine böse Ahnung war.“
Und hierbei verteidigte er May Fieldings Überlegenheit, die gewiß nicht vortäuschte, ihn zu lieben.
„Sie hat es versucht“, sagte der arme Fuhrmann mit größerer Erregung, als er bisher gezeigt hatte, „ich beginne erst jetzt zu verstehen, wie angestrengt sie versucht hat, meine pflichtgetreue und innig liebende Frau zu sein. Wie gut sie gewesen ist, wieviel sie getan hat, was für ein tapferes und starkes Herz sie hat, das mag das Glück, was ich unter diesem Dach kennengelernt hab, bezeugen. Das wird mir etwas Hilfe und Trost sein, wenn ich hier allein bin.“
„Hier allein?“ fragte Tackleton. „Oh! Sie meinen doch nicht etwa, daß Sie dieser Sache Beachtung schenken?“
„Ich meine“, erwiderte der Fuhrmann, „daß ich ihr den größten Gefallen tue und ihr die beste Genugtuung leiste, die in meiner Macht steht. Ich kann sie von der täglichen Qual, die eine Ehe mit einem ungleichen Partner bedeutet, und dem Bemühen, das zu verbergen, erlösen. Sie soll so frei sein, wie ich sie machen kann.“
„Ihr Genugtuung leisten!“ rief Tackleton, wobei er seine großen Ohren mit den Händen drehte und zwirbelte. „Hier muß etwas nicht stimmen. Sie haben das natürlich nicht gesagt.“
Der Fuhrmann ergriff den Spielzeughändler am Kragen und schüttelte ihn wie ein Schilfrohr.
„Hörn Sie!“ sagte er. „Und passen Sie auf, daß Sie mich richtig verstehn. Hörn Sie. Drücke ich mich deutlich aus?“
„Wirklich sehr deutlich“, antwortete Tackleton.
„Als ob ich’s ernst gemeint hab?“
„Sehr, als ob Sie es ernst gemeint haben.“
„Gestern hab ich die ganze Nacht an diesem Herd gesessen“, rief der Fuhrmann aus. „An der Stelle, wo sie oft neben mir gesessen und mich mit ihrem süßen Gesicht angesehn hat. Ich hab mir im Geist ihr ganzes Leben, Tag für Tag, vorgestellt. Ich hatte ihre liebe Person in jeder Etappe rückblickend vor mir. Und in meiner Seele ist sie unschuldig, falls es einen gibt, der über die Unschuldigen und die Schuldigen richtet!“
Treues Heimchen am Herd! Zuverlässige Hausfeen!
„Wut und Mißtrauen sind verflogen!“ sagte der Fuhrmann. „Es bleibt nur noch der Schmerz. In einem unglücklichen Augenblick kehrte ein früherer Liebhaber zurück, der besser ihrem Geschmack und Alter entsprach und vielleicht meinetwegen gegen ihren Willen abgewiesen worden war. In einem unglücklichen Augenblick, als sie überrascht war und Zeit brauchte, um zu überlegen, was sie tat, machte sie bei dem Verrat mit, indem sie ihn verheimlichte. Gestern abend sah sie ihn bei der Zusammenkunft, die wir beobachteten. Das war nicht richtig. Doch ansonsten ist sie unschuldig, falls es Treue auf Erden gibt.“
„Wenn das Ihre Ansicht ist …“, begann Tackleton.
„So soll sie gehn“, fuhr der Fuhrmann fort. „Für die vielen glücklichen Stunden, die sie mir geschenkt hat, mit meinem Segen gehn, und ich verzeihe ihr jeden Stich, den sie mir versetzt hat. Soll sie gehn und den Seelenfrieden haben, den ich ihr wünsche. Sie soll mich niemals hassen. Sie soll lernen, mich lieber zu mögen, wenn ich keine Belastung mehr für sie bin und sie die Fessel leichter trägt, die ich ihr angelegt hab. Das ist der Tag, an dem ich sie aus ihrem Zuhause geholt hab, ohne mir über ihre Freude dabei Gedanken zu machen. Heute soll sie dorthin zurückkehren, und ich werde sie nicht mehr bedrängen. Ihr Vater und ihre Mutter werden heute hiersein – wir hatten einen kleinen Plan geschmiedet, zusammen zu feiern –, und sie solln sie mit nach Hause nehmen. Dort oder sonstwo kann ich ihr trauen. Sie verläßt mich ohne Schande, und so wird sie auch leben, da bin ich sicher. Falls ich sterben sollte – das kann passieren, während sie noch jung ist; ich hab in wenigen Stunden viel Mut eingebüßt –, wird sie erfahren, daß ich mich bis zum Schluß an sie erinnert und sie geliebt hab. Das ist das Ende von dem, was Sie mir gezeigt haben. Nun ist es vorbei.“
„O nein, John, nicht vorbei. Sag nicht, es sei vorbei. Noch nicht ganz. Ich habe deine edlen Worte vernommen. Ich konnte mich nicht unter dem Vorwand wegstehlen, nicht zu wissen, was mich mit so tiefer Dankbarkeit erfüllt hat. Sag nicht, es sei vorbei, ehe die Uhr geschlagen hat!“
Sie war unmittelbar
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