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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nicht ausgezogen, gottbewahre, und wenn es um mein Leben gegangen wäre. Was das Abmessen der Taille – aus Spaß – betrifft, wie das die freche junge Brut tat, hätte ich das nicht fertiggebracht. Ich hätte erwartet, daß mein Arm zur Strafe krumm und nie wieder gerade geworden wäre. Doch hätte ich, das muß ich zugeben, sehr gern ihre Lippen berührt; sie etwas gefragt, damit sie sie öffnete; die Wimpern ihrer niedergeschlagenen Augen betrachtet und nie ein Erröten hervorgerufen; die Wellen ihres Haares gelöst, von denen schon eine Locke ein Geschenk von unschätzbarem Wert wäre; kurz, ich hätte gern, das gestehe ich, die geringsten Freiheiten eines Kindes besessen und wäre doch Manns genug gewesen, ihren Wert richtig einzuschätzen.
    Aber jetzt war ein Klopfen an der Tür zu hören, und sofort setzte so ein Ansturm ein, daß sie inmitten der erhitzten und tobenden Schar mit lachendem Gesicht und zerfetztem Kleid dorthin mitgerissen wurde, um gerade noch den Vater begrüßen zu können, der nach Hause kam und von einem mit Weihnachtsgeschenken und Spielzeug beladenen Mann begleitet wurde. Das gab ein Geschrei und einen Kampf und Ansturm auf den wehrlosen Gepäckträger. Sie kletterten an ihm hoch, mit Stühlen als Leitern, um in seine Taschen zu langen, raubten ihm die in braunes Papier eingewickelten Päckchen, hielten sich an seiner Krawatte fest, fielen ihm um den Hals, pufften ihn in den Rücken und stießen ihn mit Füßen gegen die Beine – alles aus lauter Liebe! Diese Ausrufe der Verwunderung und Freude beim Auswickeln eines jeden Päckchens! Die schreckliche Mitteilung, daß das Baby dabei ertappt worden war, wie es sich eine Puppenbratpfanne in den Mund steckte, und daß es im Verdacht stand, einen auf einen Holzteller geleimten, imitierten Truthahn verschluckt zu haben! Welch große Erleichterung, als sich herausstellte, daß es blinder Alarm gewesen war! Diese Freude und Dankbarkeit und Aufregung! Alles gleichermaßen unbeschreiblich. Genug, nach und nach verschwanden die Kinder – und damit auch der Tumult – aus dem Wohnzimmer. Langsam gingen sie ins obere Stockwerk des Hauses, wo sie ins Bett sanken und sich beruhigten.
    Und jetzt schaute Scrooge aufmerksamer denn je hin, als sich der Hausherr, die Tochter zärtlich an sich drückend, mit ihr und ihrer Mutter am eigenen Kamin niederließ; und als er überlegte, daß solch ein Geschöpf, ebenso anmutig und vielversprechend, ihn hätte Vater nennen und der Frühling in dem rauhen Winter seines Lebens sein können, verdüsterte sich wahrhaftig sein Blick.
    „Belle“, sagte der Mann und wandte sich lächelnd an seine Frau, „heute nachmittag habe ich einen alten Freund von dir gesehen.“
    „Wen denn?“
    „Rate!“
    „Wie kann ich das? Ha, ich weiß“, fügte sie im gleichen Atemzug hinzu und lachte mit. „Mr. Scrooge.“
    „Ja, Mr. Scrooge. Ich ging an seinem Bürofenster vorbei, und da der Fensterladen nicht geschlossen war und er Licht hatte, konnte ich kaum umhin, ihn zu sehen. Wie ich gehört habe, liegt sein Partner im Sterben, und so saß er ganz allein. Ich glaube, er ist wirklich mutterseelenallein auf der Welt.“
    „Geist“, sagte Scrooge mit gebrochener Stimme, „führe mich von diesem Ort weg!“
    „Ich habe dir gesagt, daß es sich um Schatten der Vergangenheit handelt“, sagte der Geist. „Daß sie sind, wie sie sind, dafür gib nicht mir die Schuld.“
    „Führe mich weg!“ rief Scrooge. „Ich kann es nicht ertragen.“
    Er wandte sich dem Geist zu, und als er sah, daß er ihn mit einem Gesicht betrachtete, in dem sich auf seltsame Weise Spuren all der gezeigten Gesichter widerspiegelten, rang er mit ihm.
    „Laß mich! Bring mich zurück! Quäle mich nicht länger!“
    In dem Kampf – falls man das überhaupt einen Kampf nennen kann, in dem sich der Geist ohne sichtbaren Widerstand seinerseits durch keine Anstrengung seines Gegners erschüttern ließ – bemerkte Scrooge, daß das Licht hell und hoch brannte, und da er dies irgendwie mit dem Einfluß, den es auf ihn hatte, in Verbindung brachte, ergriff er den Lichthut und drückte ihn mit einer raschen Bewegung auf dessen Kopf.
    Der Geist sank unter ihm zusammen, so daß der Lichthut seine ganze Gestalt bedeckte. Doch obwohl ihn Scrooge mit aller Kraft niederdrückte, konnte er das Licht nicht verbergen, das darunter in ungehindertem Strom den Boden überflutete.
    Er spürte, daß er erschöpft war und von einer unwiderstehlichen Schläfrigkeit

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