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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sind noch zwei!“
    Erfreut, sie zu sehen! Freude war gar kein Ausdruck dafür. Sie stürzte ihrem Mann in die Arme, die er weit ausgebreitet hatte, um sie zu empfangen, und er wäre froh gewesen, wenn er sie dort, ihren Kopf an seine Schulter gelehnt, den kurzen Wintertag über hätte halten können. Doch der alte Mann konnte sie nicht entbehren. Auch er hatte Arme für sie und umschloß sie damit.
    „Na, wo ist meine ruhige Maus die ganze Zeit gewesen?“ fragte der alte Mann. „Sie ist lange weggeblieben. Mir ist es unmöglich, ohne meine Maus auszukommen. Ich – wo ist mein Sohn William? –, ich nehme an, ich habe geträumt, William.“
    „Das sage ich ja, Vater“, entgegnete sein Sohn. „Ich hatte einen häßlichen Traum, glaube ich. Wie geht es dir, Vater? Geht’s dir gut?“
    „Stark und kühn, mein Junge“, erwiderte der alte Mann.
    Es war schon ein Anblick, wie Mr. William seinem Vater die Hand schüttelte und ihm auf den Rücken klopfte und zärtlich mit der Hand darüberstrich, als könnte er nicht ausreichend seine Anteilnahme an ihm zeigen.
    „Was für ein wunderbarer Mann du bist, Vater! – Wie geht’s dir, Vater. Bist du denn wirklich ganz gesund?“ fragte William, schüttelte ihm noch einmal die Hand, klopfte ihm noch einmal auf den Rücken und streichelte ihn noch einmal zärtlich.
    „Ich war noch nie in meinem Leben frischer oder kräftiger, mein Junge!“
    „Was für ein wunderbarer Mann du bist, Vater! Aber genau das isses“, sagte William begeistert. „Wenn ich an all das denke, was mein Vater durchgemacht hat, und an die Gelegenheiten und Wechselfälle und Leiden und Mühen, die ihm im Laufe seines langen Lebens widerfahren sind und durch die sein Haar ergraut ist und die sich Jahr für Jahr über seinem Haupt häuften, habe ich das Gefühl, daß wir nicht genug tun können, um diesen alten Herrn zu ehren und ihm seine alten Tage angenehm zu machen. – Wie geht es dir, Vater? Geht’s dir denn wirklich gut?“
    Mr. William hätte womöglich nicht aufgehört, diese Frage zu wiederholen und ihm wieder die Hand zu schütteln und ihn wieder zu streicheln, wenn der alte Mann nicht den Chemiker entdeckt hätte, den er bisher nicht gesehen hatte.
    „Ich bitte um Entschuldigung, Mr. Redlaw“, sagte Philip, „aber ich wußte nich, daß Sie hier sind, Sir, sonst wär ich nich so offen gewesen. Das erinnert mich daran, Mr. Redlaw, wie ich Sie hier an ’nem Weihnachtsmorgen gesehn hab, als Sie selber noch ’n Student warn und so hart arbeiteten, daß Sie sogar zur Weihnachtszeit in unsrer Bibliothek auf und ab gingen. Haha! Ich bin alt genug, mich daran zu erinnern. Und ich erinnere mich gut daran, ja, obwohl ich siebenundachtzig bin. Es war, nachdem Sie hier weggingen, daß meine arme Frau starb. Erinnern Sie sich an meine arme Frau, Mr. Redlaw?“
    Der Chemiker bejahte.
    „Ja“, sagte der alte Mann, „sie war ein armes Wesen. – Ich erinnere mich, Sie kamen eines Weihnachtsmorgens mit einer jungen Dame her. Ich bitte um Verzeihung, Mr. Redlaw, aber ich glaube, es war eine Schwester, an der Sie sehr hingen.“
    Der Chemiker sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Ich hatte eine Schwester“, sagte er geistesabwesend. Mehr wußte er nicht.
    „Eines Weihnachtsmorgens“, fuhr der alte Mann fort, „kamen Sie mit ihr her, und es begann zu schneien, und meine Frau forderte die junge Dame auf, hereinzukommen und sich ans Feuer zu setzen, das bei uns immer am Weihnachtstag in dem Raum brannte, der, bevor unsre zehn armen Herrn ausgezahlt wurden, unser großer Speisesaal war. Ich hielt mich dort auf, und ich erinnere mich, daß ich die Glut schürte, damit sich die junge Dame die Füße dran wärmen konnte, und daß sie die Schrift unter diesem Bild laut vorlas. ‚Herr, erhalte mein Gedächtnis frisch!‘ Sie und meine arme Frau kamen ins Gespräch darüber, und es ist doch eine seltsame Sache, wenn ich mir’s jetzt so überlege, daß sie beide sagten (wo beide so verschieden starben), daß es ein gutes Gebet sei und daß sie es sehr inständig emporschicken würden, wenn sie jung weggerufen werden sollten, mit Rücksicht auf die, die ihnen am liebsten waren. ‚Mein Bruder‘, sagt die junge Dame, ‚mein Mann‘, sagt meine arme Frau. – ‚Herr, erhalte seine Erinnerung an mich lebendig und laß mich nicht vergessen werden!‘“
    Tränen, die schmerzlicher und bitterer waren als je zuvor in seinem Leben, rannen Redlaw das Gesicht hinab. Philip, der völlig damit beschäftigt

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