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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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das ist ein ganz kleiner Trost. Eierkuchen kann sie also schon machen, mit Konfitüre. Und plötzlich hat sie so ein Gefühl,
     als wäre nichts wichtiger auf der Welt. Wenn sie später für Svenja Eierkuchen machen kann, wird ihr nichts passieren. Und
     Svenja auch nicht.

 
    In der Sauna sind sie allein. Elisa schaut sich an, was aus Henriette geworden ist. Die hat erst ein Handtuch um den Körper
     geschlungen und dann gemerkt, dass es dafür wirklich zu warm ist. Also legt sie das Handtuch auf die untere Holzbank und setzt
     sich drauf. Die Beine übereinandergeschlagen, als wäre dies hier ein Bewerbungsgespräch.
    Trotzdem kann Elisa sehen, was aus ihrer Mutter geworden ist. In einem Jahr wird sie sechzig, dann ist sie schon fast eine
     alte Frau. Aber so sieht das alles noch sehr gut aus. Auch hier in der Sauna. Die Haut fast faltenlos, der Bauch etwas groß
     und schwer, die Brüste ebenso.
    Gehst du auch regelmäßig zur Mammografie, fragt Henriette und fasst sich mit der rechten Hand an die linke Brust.
    Wegen Klara, meinst du?
    Man muss vorsichtig sein, die wissen nicht, ob es erblich ist. Die Veranlagung und so. Ich mach das jedes Jahr. So kann man
     gut vergleichen. Aber du solltest immer zum selben Arzt gehen.
    Elisa will dieses Gespräch nicht. Sie hat es zu oft geführt, und sie hat sich oft darüber geärgert, dass es nur ein mögliches
     Thema gab, wenn man über Klara reden wollte. Brustkrebs und die sich daraus ergebenden Gefahren für alle weiblichen Nachkommen.
     Als hätte ihre Großmutter nur aus zwei Brüsten bestanden.
    Wann hast du Klara denn zum letzten Mal gesehen?
    Als du zehn Jahre alt warst, Elisa. Daran solltest du dich noch erinnern. An dieses letzte Mal.
    Elisa schweigt. Sie weiß bis heute nicht, warum Klara damals aus ihrem Leben verschwand. Die Großmutter, die großmütterlicher
     nicht sein konnte. Zu der sie morgens ins Bett kriechen durfte, und wenn der Großvater kam, spielten sie immer das gleiche
     Märchen. Rotkäppchen und der Wolf. Sie das Rotkäppchen, Großmutter die Großmutter und Großvater der Wolf. Heute würde einem
     jeder Psychologe dazu eine Scheißgeschichte erzählen. Aber Elisa fand es schön, dieses gruselige Gefühl, dass aus Großvätern
     sehr wohl, wenn sie es nur wollen, Wölfe werden können.
    Es stimmt, ich erinnere mich an das letzte Mal. Aber erst seit kurzem wieder. Seit ich angefangen habe, Klara zu suchen. Sie
     war damals ein bisschen älter als ich heute. Und sie hat mir eine Puppenstube geschenkt. Wahrscheinlich zum Abschied, aber
     das konnte ich ja nicht wissen. Die Puppenstube hatte zwei Zimmer, ein rotes Dach und eine Terrasse. Alle Möbel waren aus
     Holz, und Klara hatte die Gardinen und Tischdeckchen und Teppiche selbst genäht.
    Die war wirklich zauberhaft, diese Puppenstube, und die Übergardinen an den Fenstern waren gehäkelt, aus roter Wolle. Henriette
     wischt sich Schweiß von den Brüsten und schüttelt ihn mit leicht angeekeltem Gesichtsausdruck von ihren Fingern. Elisa fährt
     mit dem Zeigefinger in den Spalt zwischen ihren Brüsten und steckt ihn dann in den Mund. Woher kommt nur das viele Salz, denkt
     sie und beobachtet Henriette, die sich bemüht, nicht zu ihr hinzuschauen.
    Ich war achtundzwanzig, Elisa, und ich hatte mich mit meinen Eltern gestritten. Überworfen, sagt man wohl besser. Eigentlich
     nicht so sehr mit meinem Vater, obwohl deres wahrscheinlich mehr verdient hätte als Klara. Sie waren beide so stur und so staatstreu, und ich war so stur und aufmüpfig.
     Das erste Mal in meinem Leben. Bis dahin, bis zu diesem Streit hatte ich alles übernommen, was sie mir an Überzeugungen beibogen.
     Da auf dem Dorf, in dem wir damals lebten, du, ich und dein Vater, habe ich einen heiligen Krieg gegen alle geführt, die ihre
     Kinder zum Pastor in die Jugendstunde schickten und sonntags in die Kirche gingen. Ich, die kommunistische Dorflehrerin, gegen
     den Rest der dörflichen Welt. Und dein Vater war noch eifriger. Wir beide zusammen waren eine fanatischere Bande als der Pastor
     mit seinen ganzen Schäflein. Der war nur ein lieber weißhaariger Mann mit schönen Zähnen und kleinen Händen. Sah ein bisschen
     wie Heinz Rühmann aus. Die Leute haben ihn gerngehabt, und er hat sich um sie gekümmert. Vor allem dann, wenn sie Hinterbliebene
     waren. In diesem Dorf wurde ja andauernd gestorben. Ich weiß auch nicht, warum. Lag vielleicht am Dreck und an der Inzucht.
     Ich kann dir sagen, Elisa, dort war der Vater

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