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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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einmal den Schal hat sie verloren.
    Darauf kann er stolz sein, denkt sie und schaut ihren Kavalier von der Seite an. Man erkennt euch doch an den Nasen, murmelt
     sie, die sind aristokratisch und hochmütig.
    Aaron grinst fröhlich und knotet den Schal um Klaras Hals etwas fester. Wenn es früher schon Schönheitschirurgen gegeben hätte,
     wäre meine Nase heute deutsch. Dann hätte ich nicht so viel reisen müssen im Krieg.
    Meinen Franz hat es nicht gestört. Der Name war ihm egal und meine Mutter mit ihren schwarzen Haaren auch. Er hat mir sogar
     seinen gegeben. Helmstedter. Ist doch ein guter Name.
    Natürlich, sagt Aaron. So gut wie jeder andere.
    Im Heim sind sie froh, dass alles gut gelaufen ist. Kann man die beiden Alten also wirklich allein rauslassen. Dann werden
     sie ruhiger sein. Und man selbst hat auch ein bisschen weniger Arbeit.
    Wir haben sie nicht gefunden, sagt Klara zu der netten Pflegerin. Der mit dem Zopf und dem Lächeln.
    Obwohl grüne Haare doch einfach zu finden sind. Im Winter, wenn alles weiß ist, sollte man die doch sehen. Die grünen Haare.
     Aber vielleicht ist sie auch gar nicht mehr da.
    Scheint eine fixe Idee zu sein, denkt die Pflegerin und klopft Klara den Schnee vom Mantel. Am Ende werde ichmir noch die Haare grün färben, um der alten Dame eine Freude zu machen. Bei dem Gedanken kommt der Pflegerin ein Lächeln
     ins Gesicht, das Aaron erfreut. Sie sehen aus wie meine Schwester. Meine kleine schöne Schwester.
    Die Pflegerin weiß schon, dass man bei dem alten Mann besser nie nachfragt, wenn er von seiner Familie spricht. Einmal hat
     sie es getan und. Nein danke. Den Satz mit dem Schornstein und dem Gas will sie nicht noch mal hören. Was soll man denn darauf
     sagen außer. Oh, das tut mir aber leid, Herr Goldstein.
    Aaron bringt Klara in ihr Zimmer. Er hilft ihr aus Mantel und Wollweste und hängt alles ordentlich in den Schrank. Dies ist
     wirklich ein guter Tag für ihn. Alles läuft ohne Aussetzer. Er weiß noch nicht genau, was er von Klara will. Für die einzig
     wahre Geschichte sind sie wirklich zu alt. Und Klara haben sie die Brüste amputiert. Das hat er mal gesehen, als sie ohne
     Verstand und Kleider über den Flur lief und die blöde Hexe von Pflegerin sie dabei erwischte. Hat ihr doch tatsächlich ein
     Kaffeetablett vor den Leib gehalten und sie zurück ins Zimmer geschoben. Als spielte das alles hier noch eine Rolle. Wie man
     herumläuft und ob man faltige oder gar keine Brüste hat. Auf jeden Fall hat er damals gedacht, dass ihm Klara dann wohl nicht
     gefallen könnte. Er war früher so scharf auf schöne Brüste. Hat sich die Frauen immer auch danach ausgesucht. Wie sie obenrum
     gebaut waren. Und dann dieser flache vernarbte Torso. Das hat ihn abgeschreckt. Obwohl Klara sonst wirklich passabel aussieht.
     Hat noch einen guten Glanz in den Augen, wenn sie bei Verstand ist. Und kann mehr als drei Sätze hintereinander reden. Das
     ist hier Gold wert. Mit Juden scheint sie es zwar nicht so zu haben, aber andererseits ist das vielleicht auch nicht mehr
     wichtig. Früher, da hätte er sich ganz gewiss nicht mit einer arischen Frau abgegeben. Jede von ihnen hätte schuld sein können.
     Wer wusste das schon.
    Klara setzt sich auf ihren Sessel und schaut zu Aaron auf. Von hier aus betrachtet, ist seine Nase noch größer. Aber die Haare
     sehen sehr schön aus, weiß und wellig. Für einen Moment schiebt sich vor Klaras Augen ein Totenschädel mit welligen weißen
     Haaren. Aaron lächelt. Klara seufzt. Wir werden sterben, Aaron. Bald. Vielleicht erinnern wir uns ja vorher noch an alles,
     was uns jemals passiert ist.
    Hoffentlich nicht, murmelt Aaron und sieht plötzlich ganz klein und erschöpft aus. Er streichelt Klaras Hand, winkt ihr ein
     Bisbald und geht zur Tür.
    Aaron, sagt Klara. Ich weiß nicht, was der Helmstedter mit einem wie dir gemacht hätte. Vielleicht wärst du tot. Sie wundert
     sich, woher dieser Gedanke kommt, aber er schiebt sich dick und fett in ihre Stirn. Nicht der Helmstedter, denkt sie. Der
     war ein guter Mensch, hat mir seinen Namen gegeben und sich nicht über den Russen beschwert. Aber wo er vorher war, das hat
     er mir nicht erzählt. Vielleicht hat er Aaron gesucht.
    Klara fängt an zu mümmeln. Sie schiebt ihren Unterkiefer nach vorn und zieht die Prothese mit einem klatschenden Geräusch
     wieder an die rechte Stelle im Mund. Vor und zurück, das Geräusch beruhigt sie. Und dann schiebt sie die falschen weißen Zähne
     zu

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