Alle Zeit - Roman
dröhnte mich mit Alkohol und was weiß
ich für Kräutermischungen zu. Sie hat mir eiskalte Umschläge auf den Bauch gelegt und mich vom Küchentisch springen lassen.
Am liebsten, glaube ich, hätte sie mich gleich noch die Treppe im Hausflur runtergeschubst.
Elisa schaut an sich hinab und fängt an, ihre körperlichen Blessuren und inneren Defekte zu überdenken. Könnten alles Folgen
dieser Experimente sein. Sie steht auf und geht ins Hotelfoyer, wo gestern noch ein Zigarettenautomat stand. Sie zieht sich
die ersten Marlboros ihres Lebens und denkt, dass es nun egal sei, bei solchen Nachrichten müsse man einfach anfangen mit
dem Rauchen. Die Kellnerin hat ein Streichholzheftchen in ihrer großen Geldbörse, und Elisa zündet sich noch am Frühstückstisch
eine Zigarette an.
Henriette schaut fasziniert, wie ihre Tochter vorsichtig einen Zug nimmt, den Rauch im Mund hält, ohne ihm den Weg in ihren
Körper zu gestatten, und dann wieder ausstößt. Das macht ein Geräusch, bei dem man lächelnkann. Sie wird Elisa nicht ausreden, was sie da tut, schließlich sind das alles keine guten Nachrichten. Aber besser, Elisa
findet sich mit schlechten Nachrichten ab und hört auf, Klara zu suchen. Die Raucherei wird ihr nicht gefallen. Hofft Henriette.
Es hat nicht geklappt. Du warst so fest verankert in meinem Bauch, dass Klara nichts tun konnte. Für einen kurzen Moment haben
sie und Franz noch überlegt, ob sie mich, wie in ganz alten Zeiten, aufs Land schicken und so tun könnten, als sei das Kind
ein spätes und würde ihnen gehören. Aber dagegen hat sich Franz, mein Vater, gewehrt. Ich weiß nicht, warum. Nicht mir und
nicht dir zuliebe. Es war ihm wohl einfach zuwider, sich so sehr in Lügen zu verstricken. Nachdem diese ganzen Debatten vorbei
waren und alle wussten, dass sich nichts mehr ändern lässt, hat Franz ein Jahr lang kein Wort mehr mit mir gesprochen.
Elisa versucht sich das vorzustellen. Dieses Schweigen. In einer Familie, in einer Wohnung. So oft hat Henriette von dieser
Wohnung gesprochen, dass Elisa sich vieles vorstellen kann. Das kleine Zimmer, in dem Henriette schlief und von dem aus eine
Tür ins Elternschlafzimmer führte. Als Kind hat Elisa einmal gefragt, ob Henriette sich manchmal nachts an den schlafenden
Eltern vorbeigeschlichen habe, um heimlich in eine Disko zu gehen. Oder in eine Bar. Henriette hat das immer verneint.
Jetzt gerät doch ein wenig Rauch in Elisas Lunge, und ihr wird sofort schlecht. Sie blinzelt und drückt die Kippe auf ihrem
Frühstücksteller aus, zwischen Eierschalen und einem Brötchenrest.
Ein Jahr, sagt sie und hustet, ist eine lange Zeit. So etwas würde ich nie verzeihen. Niemals.
Die Spielzeugeisenbahner beenden ihr Frühstück, und Elisas Tanzpartner schleicht mit bedeutungsvollem Blick an ihren Tisch.
Sein Gesicht glänzt, am Kinn kann mansehen, wie schlampig er sich am Morgen rasiert hat. Er lächelt Elisa hilflos an und reicht ihr die Hand, als sei ein offizieller
Termin an ihrem Frühstückstisch anberaumt. Henriette erhebt sich halb vom Stuhl, mit einer leichten Röte im Gesicht. Wie eine
Gouvernante, denkt Elisa und lächelt. Das macht dem Modelleisenbahner Mut, und er fragt, ob man am Abend nicht zusammen etwas
trinken könne, in der Bar. Henriette nickt sofort eifrig, und Elisa sieht ein kleines Glänzen in ihren Augen.
Warum nicht, denkt sie, wenn es Glanz in Mutters Augen bringt. Dann schmiert sie noch drei Brote für den Ausflug zum Haus
und wickelt zwei Bananen in Servietten ein. Die Kellnerin schaut skeptisch zu und schiebt sich langsam mit dem Tablett heran.
Sie dürfen nicht, sagt sie und schaut ein bisschen verlegen auf das braune Tablett. Man kann, holt sie noch einmal aus, ein
Lunchpaket bei uns bestellen. Das bekommen Sie in zehn Minuten, und es kostet sieben Euro.
Sieben Euro, murmelt Elisa, wickelt die Bananen wieder aus, legt sie der Kellnerin aufs Tablett und schüttelt den Kopf. Dann
schmeißen Sie mal lieber alle Reste in den Müll, wie es sich gehört.
Steht vorne am Eingang, das mit dem Lunchpaket. Ich habe die Regeln nicht gemacht, sagt die Kellnerin. Sie wendet sich ab
und schiebt sich Richtung Küche.
Elisa fragt sich, ob ein Rücken wirklich beleidigt aussehen kann, aber der Kellnerinnenrücken spannt einen Bogen und geht
ins Hohlkreuz, und was soll das anderes sein als Wut oder Beleidigtsein. Vorhin noch war das Hohlkreuz nicht zu sehen.
Die Betten im Zimmer sind schon
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