Alle Zeit - Roman
Klinge
und macht sich an der Tür zu schaffen, da fragt ein Fremder hinter ihnen, was sie hier zu suchen hätten. Er sieht nicht unfreundlich
aus mit seiner grünrot gestreiften Bommelmütze und dem dicken roten Anorak. Ganz und gar nicht unfreundlich. Aber neugierig
ist er schon.
Wir sind, wir waren, ich habe hier mal mit meinen Eltern. Denen hat das Haus gehört. Sie haben es 1952 gebaut, als diese Siedlung.
Da war ich noch. Henriette hat ein wenig den Verstand verloren und die Sprache dazu. Aber dem Mann ist alles klar. Er kommt
näher und lächelt und reicht die Hand über den kaputten Zaun und sagt, er sei der Sohn vom Anselm, der hier auch 1952 gebaut
hat, und da müsse man sich doch kennen, weil man doch immer zusammen gespielt hätte. Henriette?, sagt er und grinst jetzt
ein bisschen töricht.
Die fängt sich nun gar nicht wieder. Olaf, du musst Olaf sein, der mit den Feuersalamandern und den Kaulquappen.
Elisa geht vorsichtig die Terrassenstufen runter und rauf aufs verwahrloste Grundstück. Hier kann sie jetzt nur dumm rumstehen,
wenn die zwei sich ihre Kindheitserinnerungen um die Ohren hauen. An einer der riesigen Fichten hängt eine verrottete Schaukel,
und darüber kann Elisa die Reste eines Baumhauses erkennen. Das weckt eine Erinnerung an irgendetwas, von dem Henriette erzählt
hat. Baumhaus und Kaulquappen und Olaf vermengen sich zu einer Geschichte. Die von dem Nachbarsjungen, der Kaulquappen erst
fängt und dann isst, um seinen Mut zu beweisen. Und Henriette hat, verliebt in den Jungen, wie sie war, drei der schwarzen
kleinen Viecher mit viel Wasser runtergeschluckt. Danach hat der Junge ihr dann erklärt, dass aus den Kaulquappen in ihrem
warmen Bauch Frösche werden würden, die dann bei jedem Wort, das Henriette von sich gäbe, anfangen würden zu quaken. So oder
so ähnlich war die Geschichte. Elisa hat sie oft gehört als Kind und sich immer darüber lustig gemacht, dass Henriette tatsächlich
tagelang bei jedem Wort gefürchtet hatte, aus ihrem Bauch ein Quaken zu hören. Andererseits konnte sie sich als Kind bei dem
Märchen von der Pechmarie und der Goldmarie nicht einkriegen, wenn es an die Stelle ging, wo der Pechmarie bei jedem Wort
ein Frosch aus dem Mund springt. Oder war es eine Maus? Und die Goldmarie hat Taler gespuckt. Eine orale Goldeselin.
Elisa lächelt und schubst die Schaukel sachte an. Henriette und der Fremde, mit dem sie mal auf dem Baumhaus gesessen und
vielleicht sogar rumgeknutscht hat, reden hinter ihr leise miteinander. Richtig verstehen kann sie nicht, worum es geht. Aber
sie ist neugierig. Nun doch und ein bisschen.
Elisa, ruft Henriette und wedelt mit der linken Hand. Komm her, Olaf weiß, was mit dem Haus ist.
Olaf also, denkt Elisa, die Hanuller sind wohl gerade zehn Plätze nach unten gerutscht. Wer weiß, wo meine Mutter den heutigen
Abend verbringt.
Olaf nimmt die beiden Frauen mit in sein Haus, das mal eine Laube war und seinen Eltern gehörte. Er zeigt, was geschehen ist
in der langen Zwischenzeit. IKEA ist geschehen und eine kleine Lust auf alte Möbel. Keine Frau weit und breit, aber ein prachtvoller
Teppich auf dem Wohnzimmerboden und eine Küche, in der offensichtlich gekocht wird. Elisa beginnt ernsthaft darüber nachzudenken,
ob sie den Weg allein wird laufen müssen. Zurück ins Hotel und zu den Zwiebelzöpfen. Aber eigentlich traut sie ihrer Mutter
derart spontane Sachen nicht zu. Nur, wie dieser Olaf schaut. Und wie hektisch er mit der Kaffeemaschine rummacht. Elisa lächelt
und hat plötzlich das Gefühl, hier könnte sich alles lösen und zum Besten wenden.
Tatsächlich ist mit diesem Haus nebenan, mit eurem Haus, ein Geheimnis verbunden. Wir halten es zumindest für ein Geheimnis,
sagt Olaf und dreht sich zu Henriette um. Die schaut ihn an, als sei er ihr nun wieder ganz vertraut. So wie in Baumhaustagen
und Kaulquappenzeiten. Elisa gießt sich Kaffee ein. Um sie kümmert sich jetzt erst mal niemand mehr.
Der Mann der Hebamme bringt zwanzig Kartons. In die soll Julis ganzes Leben rein. Und Svenjas kurzes noch dazu.
Kein Problem, sagt Juli und fängt energisch an, die Kartons zusammenzubauen. Der Mann der Hebamme hilft ihr. Er hat dickes
braunes Paketklebeband mitgebracht, das ratscht aus einer ganz und gar praktischen Vorrichtung und macht dabei ein sattes
Geräusch. Juli findet es schön. Es klingt nach Aufbruch und Anfang.
Du schreibst am besten auf die Kartons drauf, was
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