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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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weit nach vorn. Die rutschen aus dem Mund und bleiben auf ihrer flachen Brust liegen. Wie ich aussehe, wie ich aussehe.
     Klara linst erschrocken zu Aaron, der ihr den Rücken zukehrt und an der Tür steht, als wüsste er nicht, wie man sie aufmacht.
     Aaron, nuschelt Klara und schiebt sich mit einer schnellen Bewegung die Zähne wieder ins Gesicht.
    Aaron geht raus, wandert vier Mal den langen Gang rauf und runter und summt dabei ein kleines Lied. Die wird mir jetzt nicht
     die ganze Geschichte von ihrem Helmstedter erzählen. Das will ich nicht hören. Oder doch. Oder nicht. Man ist froh, wenn einem
     hier all dieseGedanken nicht mehr so oft kommen. Andererseits. Klara könnte die letzte Liebe seines Lebens sein. Doch, das ist möglich.
     Sie ist weich und schön und vielleicht auch klug. Das kriegt man hier so schwer raus. Klugheit wird in Altenheimen nicht abgefragt.
    Aarons rechte Hand ballt sich zu einer kleinen runzligen Faust. Mit der haut er an jede Tür, die an ihm vorbeikommt. Aus manchen
     Zimmern murmelt sich irgendwas an sein Ohr, aber er kann es zum Glück nicht verstehen. Als er zum dritten Mal den Weg zurück
     nimmt, öffnet sich eine Tür, und der Alte mit dem Warzengesicht schiebt sich vor Aaron. Haste auch schon gemerkt, dass die
     uns hier Viagra ins Essen mischen? Mir steht er jeden Morgen und jeden Abend. Nur die Weiber, die geben sie uns nicht dazu.
    Aaron versucht, das Warzengesicht beiseitezuschieben. Der schweinigelt immer rum. Die Pflegerinnen gehen nur noch zu zweit
     in sein Zimmer. Wie die das wohl abrechnen. Ist doch bestimmt nicht enthalten im Pflegesatz, dass sich zwei um einen schweinigelnden
     Alten kümmern dürfen.
    Bleib hier, murmelt das Warzengesicht und sieht traurig aus. Ein Gespräch unter Männern. Hier redet doch keiner mit einem.
     Aaron schaut und fragt: Warst du Nazi, früher?
    Der alte Mann fängt an zu lächeln, und aus seinen Warzen werden lustige kleine Kullern, die sich hin und her bewegen. Ne,
     Kommunist. Die hatten die schöneren Bräute. Keine Flintenweiber, sag ich dir. Nur ein bisschen fanatisch. Aber ich hab sie
     alle. Das Lächeln fällt aus dem Gesicht, und aus den Kullern wird wieder eklige Haut. Willstn das wissen?
    Wegen Klara, murmelt Aaron und geht nun wirklich am Warzengesicht vorbei zur Treppe und rauf in sein Zimmer. Wird Zeit für
     einen Aussetzer, flüstert er und legt sich aufs Bett. Wenigstens bis zum Abendessen. Damuss er dann nicht mehr über Klara und ihren Helmstedter nachdenken. Was redet sie auch solche Sachen. Als ob das jetzt noch
     eine Rolle spielt. So kurz bevor auch er in den Ofen geht, um den Kreis der Familie zu schließen. Wo hab ich nur mein Testament.
     Steht doch Feuerbestattung drin, oder? Feuerbestattung. Wie sie die ganze Familie bekommen hat. Ist doch egal, ob sich das
     heute für uns Juden gehört oder nicht. Ich nehm den Weg, den sie alle gehen mussten.
    Aaron schläft ein und träumt von Klara, wie sie im Schnee läuft und sich dabei die Sachen vom Leib reißt. Und dann sieht er
     im Traum Klaras große schwere Brüste.

 
    Elisa und Henriette brauchen fast drei Stunden. Alles scheint anders zu sein. Zumindest sieht es so aus. Die Bäume sind gewachsen.
     Wo früher Schonung war, steht heute dichter Wald. Und der Schnee liegt wirklich hoch. Henriette fürchtet sich ein wenig. Manchmal
     versinkt sie bis zu den Knien. Elisa bleibt immer einen Schritt hinter ihr, um aufzupassen. Dafür muss Henriette die Spur
     laufen, und das macht die Sache schwer.
    Warum hat Franz nach einem Jahr wieder angefangen, mit dir zu sprechen?
    Weil du angeblich Papa zu ihm gesagt hast.
    Elisa rechnet nach. Das ist nicht möglich. Mit fünf Monaten.
    Natürlich nicht, er brauchte einen Grund. Es lag ihm nicht, dieses Schweigen, auch wenn er es so lange durchgehalten hat.
     Manchmal habe ich sie abends reden hören, über mich. Klara, die immer wieder versuchte, Franz von seinem Schweigen abzubringen.
     Aber es schien, als wäre mehr zwischen ihnen als mit mir. Ich war nur der Weg, den Franz eingeschlagen hatte, um Klara etwas
     mitzuteilen. Sie hatten sich seit zehn Jahren nicht mehr angefasst.
    Woher wusstest du das?
    Ich wusste es nicht. Erst später. Ich wusste ja nicht mal, was mit Klaras Körper wirklich los war. Sie ist ins Krankenhaus
     verschwunden, als ich sieben war. Niemand hat mir gesagt, warum. Franz, mein Vater, murmelte immer was von einer Frauensache
     und dass ich es noch nicht verstehenwürde, wenn ich nachfragte. Ich

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